#lebensgeschichte – Wie Inschriften sich in ein Leben einschreiben

Es muss um das Jahr 1990 gewesen sein. Ich begegnete Walburga Knorr im Stadtarchiv Regensburg. Die Kunsthistorikerin forschte schon damals, vor mehr als 30 Jahren, an mittelalterlichen Inschriften in Regensburg. In der Schriftenreihe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erschienen Band I, Band II, Band III und jetzt Band IV. Jedesmal kämpfte Walburga Knorr um die Anschlussfinanzierung des anspruchsvollen Forschungsprojekts, diesem bedeutungsvollen Schlüssel für die Geschichte Regensburgs. Was für eine Energie, was für eine Leidenschaft für Inschriften in Glocken, Grabsteinen, Steinfriesen oder mittelalterlichen Tragaltären. Glückwunsch zu dieser Arbeit. 

Die Inschriften der Stadt Regensburg. IV das Kollegialstift unserer lieben Frau zur Alten Kapelle, gesammelt und bearbeitet von Walburga Knorr und Werner Mayer, 2023, 314 Seiten, 69,- Euro, ISBN 978-3-7520-0715-2

#lebensgeschichte – Mit einer Leiter kommt man überall hin

Regina Hellwig-Schmid ist Künstlerin und Kuratorin. In einem Seitenaltar der Regensburger Schottenkirche St. Jakob realisierte sie die Installation „himmelwärts“ – raumgreifend, poetisch, nahbar, aus Seide, einem Material so stark und so reissfest wie kaum ein anderes.

„Mit einer Leiter“, sagt die Künstlerin, „kommst Du überallhin. Ganz nach oben, aber Du musst auch in den Gulli schauen können. Die Leiter in der Schottenkirche ist eine Lebensleiter. Oben wird es enger.“
Zu sehen ist die Installation „himmelwärts“ noch bis 31. Oktober 2023 in der Schottenkirche St. Jakob, Jakobstraße 3, 93047 Regensburg, 8 bis 18 Uhr.

Foto:
Regina Hellwig-Schmid

Naab-Werkstätten: Über das Menschliche an der Arbeit

Menschen mit und ohne Behinderung begegnen sich seit 50 Jahren in den Naab-Werkstätten im Schwandorfer Stadtteil Ettmannsdorf. In Wäscherei, Schreinerei, Montage, Fahrradwerkstatt, Kantine und vielen anderen Abteilungen arbeiten 600 Menschen mit- und füreinander. Jetzt zeigt eine 58-seitige Broschüre in Text, Bild und Grafik wie diese Zusammenarbeit tagtäglich auf’s Neue gelingt.

Das Besondere an diesem Heft sind die 22 Statements von Mitarbeitenden der Naabwerkstätten. Ein Gruppenleiter, eine Mitarbeiterin in der Wäscherei, die Frauenbeauftragte, ein Beschäftigter am Bauhof, einer aus der Montageabteilung und viele andere erzählten mir, was ihnen wichtig ist und was ihren Alltag in den Naab-Werkstätten ausmacht.

Anette K. ist stolz auf ihre kleinen Hände. Damit kann sie vor allem kleine Teile wie Unterhosen oder Waschlappen besonders gut falten. Nina W. ist Gruppenleiterin und zerlegt Arbeitsprozesse wie das Zusammenbauen eines Feuerlöschers in einzelne Arbeitsschritte. „Bei jedem Handgriff braucht man eine andere Fähigkeit“, freut sie sich. Rebecca S. will die Frauen in den Naab-Werkstätten stärken, für sie da sein. Und Gruppenleiter Christian K. freut sich auf das Papierschöpfen für die Weihnachtskarten.

Ich danke Naab-Werkstätten-Geschäftsführerin Margit Gerber, der das Konzept von Grafikerin Astrid Riege und mir von Anfang an gefiel. Naab-Werkstätten-Mitarbeiterin Doris Pauker-Solbach hat die Interviewtermine für mich fein koordiniert und Astrid Riege hat eine Gestaltung vorgelegt, die Herzlichkeit und Miteinander ausstrahlt.

Neben diesen Statements und einer Einführung von Geschäftsführerin Margit Gerber, bringt das Heft eine Reihe von Plädoyers für eine Arbeit nach dem Vorbild der Naab-Werkstätten, darunter ein Grußwort von Verena Bentele, der Landesvorsitzenden des Sozialverbands VdK Bayern.

zu beziehen über: Naab-Werkstätten GmbH, gemeinnützige Werkstätten für Menschen mit Behinderung, St.-Vitalis-Straße 22, 92421 Schwandorf, info@naabwerkstaetten.de

#lebensgeschichte – Interview über die biografische Arbeit mit Margot Luf

Vielen Dank, Stefan Voit, für das Interview über meine biografische Arbeit mit der Münchner Künstlerin Margot Luf. Hat Spaß gemacht. In „Lichtung – ostbayerisches Magazin“ ist das Interview über „Ein Sterntalerleben“ jetzt zu lesen.

Was mich an Margots Leben besonders fasziniert, hat mich Stefan gefragt. Natürlich musste ich überlegen, denn es gibt an Margot vieles, was mir gefällt. Ihre Spontaneität, ihre Freude am Ausprobieren, am meisten hat mich jedoch ihre Freude am Dialog begeistert. Wir hätten endlos weiterreden können.

aus: lichtung – ostbayerisches Magazin, Oktober 2023

Weigl-Wagner, Julia: Margot Luf – ein Sterntalerleben, 2023, 173 Seiten, 15,00 Euro, erhältlich bei Kunstpartner, Wilma Rapf, Altenthanner Straße 1, 93170 Adlmannstein

Werke von Margot Luf sind aktuell noch bis zum 29. November 2023 in der Ausstellung „Rhythmisaches Spiel zwischen Skulptur und Farbe“ der Volksbank Mittlerer Neckar eG in Nürtingen zu sehen.

Medienkunst: Barbara Herold verführt digital

Als wären es Geschichten aus 1001 Nacht, pulsieren die aus unendlich vielen Farbflächen zusammengesetzten Teile von Blüten über die Fliesen der ehemaligen Unterführung am Hauptbahnhof in Regensburg. „Transcendent Echoes of Transcendent Realms“ nennt Barbara Herold ihre Augmented Reality Installation im donumenta ART LAB Gleis 1. Für die digitale Rauminstallation der Medienkünstlerin ist die 60 Meer lange ehemalige Bahnhofsunterführung, der Ausstellungsraum des donumenta e.V. in Regensburg, ein idealer Raum.

Herold kennt die wirkungsvollen Methoden der Verführung zwischen realer und digitaler Welt. Magisch wirkt ihre Augmented Reality Installation mit den sich endlos wiederholenden Bewegungen und Farben. Wer noch weiter hineintauchen möchte in dieses Gefühl von Schwerelosigkeit, lädt die App (QR-Code am Eingang in die Ausstellung) auf sein Smartphone und holt sich so Barbara Herolds Welt immer wieder in die eigene, phantastisch und verführerisch.

Außer in Regensburg waren Arbeiten der Medienkünstlerin Barbara Herold in diesem Jahr auf der resetNOW, der 6. Biennale der Künstlerinnen im Haus der Kunst in München ebenso vertreten wie auf der SaarART, dem Laboratorium des Instituts für Aktuelle Kunst in Saarlouis.

Nur noch bis 29. Oktober, Mi – So, 14 – 19 Uhr im donumenta ART LAB Gleis 1, Hauptbahnhof Regensburg

weitere Infos unter: http://www.donumenta.de

#lebensgeschichte – Buchbesprechung der Biografie von Christa Meier

Christa Meier: Vorausgehen, Hrsg: Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2023, 178 S., kostenlos erhältlich bei Friedrich-Ebert-Stiftung.

Im ostbayerischen Magazin „Lichtung“ erschien jetzt die Buchbesprechung von „Vorausgehen“, der Lebensgeschichte Christa Meiers. Schön erkannt, wie Regensburgerinnen und Regensburger 1990 all ihren Mut zusammennahmen und eine Frau als Oberbürgermeisterin wählten, die erste in ganz Bayern. Das ist der Text von Florian Sendtner.

„1990 nahm Regensburg seinen ganzen Mut zusammen und wählte nach zwölf Jahren CSU-Herrschaft wieder SPD, noch dazu – eine Premiere in der zweitausendjährigen Stadtgeschichte – eine Frau als Oberbürgermeisterin.
Die sechs Jahre unter Christa Meier waren für Regensburg ein Segen, sowohl
im Vergleich zu den zwölf Jahren zuvor unter dem CSU-OB Viehbacher als auch
gegenüber den 18 folgenden Jahren unter dem CSU-OB Schaidinger, beides stramm konservativ-autoritäre Machtmenschen. Christa Meier hatte zwar ihre Vorbilder und Idole, doch das meiste im Leben musste sich die studierte Lehrerin erkämpfen. Wo sie auch hinkam, betrat sie Neuland: Als erste in der Familie ging sie an die Uni, als erste Frau wurde sie stellvertretende Landesvorsitzende
der bayerischen SPD, von 1982 bis 1990 war sie die erste weibliche Ausschussvorsitzende im bayerischen Landtag, und dann wurde sie zur ersten Oberbürgermeisterin einer bayerischen Großstadt gewählt.

„Vorausgehen“, der Titel ihrer nun vorgelegten Autobiographie, ist also alles andere als eitle Selbstüberschätzung. Diese Frau war tatsächlich oft allein auf weiter Flur. Oder sie hatte nur wenige Mitstreiter. 1974 zum Beispiel waren es zwei weitere SPD-Stadträte, die zusammen mit Christa Meier gegen ihre eigene Fraktion und deren Lieblingsprojekt einer Monsterbrücke über die Donau beim Kolpinghaus stimmten: „Annuß, Brekle, Meier, kurz ABM“. Bei der CSU fand sich auch noch ein Dissident, und damit war der Alptraum namens Auto in der Regensburger Altstadt vom Tisch. Über Eigensinn und Selbstbewusstsein
verfügt Christa Meier definitiv. Auch eine Art von Machtgen zeigt sich schon früh:
Zu Beginn der 50er Jahre – Meier ist Jahrgang 1941 – ist sie die „Anführerin“ einer „richtigen Bande“: „Ein Dutzend Buben aus der Frieden- und der Galgenbergstraße hörte auf mein Kommando.“ Vierzig Jahre später ist ihr „sehr bewusst, dass es in der Stadtverwaltung den einen oder anderen leitenden Beamten gab, der es nicht gewohnt war, eine Chefin zu haben“. In den 70er Jahren, auf dem Land, war es noch ungewohnt, dass eine Frau bei einer öffentlichen Versammlung auftrat. Als „eine der skurrilsten Begegnungen“ bezeichnet Christa Meier eine SPD-Versammlung in Aichkirchen bei Hemau, wo sie sich „in einem großen Wohnzimmer ungefähr 60 Männern gegenüber“ findet, die nur neugierig sind, „‚das Wei‘ – also die Frau – zu sehen“. Vier Stunden dauert die Konferenz: „Die CSU-nahen Männer versuchten immer wieder, meine Positionen auseinanderzunehmen, gaben Kontra und wollten im Grunde
nur, dass ich bleibe.“ Die SPD steigerte sich bei der nächsten Wahl in Aichkirchen „um 100 Prozent: von einer auf zwei Stimmen!“
Florian Sendtner

Aus: Lichtung – ostbayerisches Magazin, Oktober 2023, S. 56 f.

#lebensgeschichte – Die Biografie von Christa Meier

Christa Meier war von 1990 bis 1996 Oberbürgermeisterin und die erste Frau an der Spitze einer bayerischen Großstadt. Diese glückliche Großstadt war Regensburg.

Unter dem Titel „Vorausgehen“ hat die Friedrich-Ebert-Stiftung Bayern jetzt die Biografie der Ausnahmepolitikerin herausgegeben. Es wird deutlich, wie vorausschauend Christa Meier gehandelt hat und wie weit sie ihrer Zeit als aktive Politikerin voraus war.

Nach vielen biografischen Interviews durfte ich die Lebensgeschichte von Christa Meier aufschreiben. Dafür danke ich der Protagonistin von ganzem Herzen für ihr Vertrauen, für die schöne Zusammenarbeit. Danke für diese kluge, moderne, empathische und sehr sympathische Geschichte. Grafikerin Barbara Stefan hat sie einfühlsam gestaltet.

Herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung Bayern. Christa Meiers Biografie „Vorausgehen“.

Christa Meier (*1941) war die erste in ihrer Familie, die studieren durfte. Das
Engagement der Sozialdemokratie für Mädchenbildung und gegen die Wiederbewaffnung
Deutschlands veranlasste die damals 25-Jährige am 1. Januar 1966, der
SPD beizutreten. Als Lehrerin in Nordrhein-Westfalen erlebte sie die Bergbaukrise
an der Ruhr. Zurück in Bayern wurde sie als erste Frau stellvertretende Landesvorsitzende
der bayerischen SPD, erste weibliche Ausschussvorsitzenden im Bayerischen
Landtag und schließlich erste Oberbürgermeisterin einer bayerischen Großstadt – Regensburg. In vielen Politikfeldern, von der Verkehrspolitik bis zur Familienförderung, vom
Städtebau bis zur Medienpolitik war sie ihrer Zeit voraus. In „Vorausgehen“ erzählt
Christa Meier, was sie von Kindesbeinen an gelernt hat und wer ihre Vorbilder waren.

Friedrich Ebert Stiftung Bayern (Hg.): Christa Meier: Vorausgehen, Bonn 2023, 180 Seiten, ISBN: 978-3-98628-301-8, kostenfrei zu beziehen über die Friedrich-Ebert-Stiftung unter bayern@fes.de

Beitragsfoto: Christa Meier fotografiert das Portal des Alten Rathauses in Regensburg, Foto aus dem Provatarchiv von Christa Meier, um 1990.

#lebensgeschichte – Die Künstlerin Margot Luf

„Ein Sterntalerleben“ erzählt die Geschichte der Münchner Künstlerin Margot Luf.

Geboren 1945 in Oberbayern, wuchs Margot Luf zwischen Trümmern auf und erlebte, wie sich die Welt um sie herum langsam herausputzte aus dem Schutt – Wirtschaftswunder, Kunstschule, erste Verkäufe auf der Münchner Leopoldstraße. Gegen Widerstände bahnt sich Margot Luf ihren Weg hinaus in die Welt. Sie reist, erlebt den Alltag in New York, die große Anziehungskraft Griechenlands und der Berge.

Traumtänzer, Sterntaler – Margot Lufs Skulpturen erzählen von ihrer Schöpferin. Buchcover von Florian Toperngpong

Diese Biografie skizziert mehr als sieben Jahrzehnte eines Menschenlebens. Sie zeigt die Jonglage mit all dem, was Margot Luf umgab. Es sind die Bestandteile ihrer Kunst.

Ich danke Margot Luf von Herzen für ihr großes Vertrauen und die vielen Interviews, die wir sehr konzentriert in ihrem Atelier führten. Danke auch an Margots Ehemann Anton Yeremenko für wichtige Anmerkungen.

Die Kunstpartner Wilma Rapf-Karikari und Ingo Kübler machen Margot Lufs Vorlass in ihrer Galerie in Adlmannstein zugänglich. Wilma Rapf Karikari und Margot Luf sind die Herausgeberinnen dieser Biografie, die Florian Toperngpong gestaltet hat.

Weigl-Wagner, Julia: Margot Luf – ein Sterntalerleben, 2023, bebildert, 163 Seiten, ISBN 978-3-9817660-9-7

#donumenta Das Spiel mit Orten – Interview mit AR-Künstlerin Tamiko Thiel

Tamiko Thiel ist Pionierin der Digitalen Kunst und hat sich auf Augmented Reality spezialisiert. Ihre AR-Installation im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof in Regensburg läuft bis zum 14. November 2021. Im Interview erzählt Tamiko Thiel, was ihr Interesse im Spannungsfeld zwischen Kunst und Technik befeuerte.

Technik und Kunst. Wie geht das in Deinem Leben zusammen? Wie fing das an?

Mein Vater, Philip Thiel, war Schiffsbauingenieur und lehrte am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology. Sein Büro war neben dem von György Kepes. Der Ungar war mit László Moholy-Nagy in die USA gekommen, um in Chicago am New Bauhaus zu lehren und später das erste Zentrum für Kunst und Wissenschaft, das Center for Advanced Visual Studies (CAVS) am MIT in Cambridge, Massachusetts, zu gründen. György hat meinen Vater verführt. Mein Vater wollte heraus aus seinem sehr vom Militär geprägten Beruf. Er ist durch Kepes Einfluss Architekt geworden, aber nicht so sehr einer, der Häuser baut. Vielmehr hat ihn interessiert, was man erlebt, wenn man durch den Raum geht, auch durch den urbanen Raum. Seine Theorien waren tatsächlich die Basis für meine Virtual-Reality-Arbeiten ab Mitte der 90er Jahre. Mein Vater war mit der Wahrnehmung der Umgebung beschäftigt. Das übte starken Einfluss auf mich aus. Sein Übertritt von der Ingenieurwissenschaft zur Architektur war 1950. Ich bin 1981 ans MIT gegangen, um meinen Master in Maschinenbau zu machen – und bin ebenfalls durch Kepes Einfluss als Medienkünstlerin herausgekommen.

Dazu kam, dass ich in einem Haus aufgewachsen bin, wo Kunst, Design und Ingenieurwesen nah beieinanderlagen. Meine Mutter ist Künstlerin, hat am Anfang ihrer Karriere abstrakte Holzschnitte gemacht, wandte sich mehr und mehr den traditionellen japanischen Künsten zu und wurde Kalligrafiemeisterin. Ich wuchs in einem sehr designgeprägten Haushalt auf und wenn ich früher geboren wäre, wäre ich wohl Architektin geworden. Tatsächlich bin ich aber spät genug geboren, um an der Stanford University Product Design zu studieren, damals eines der wenigen Fächer, in denen Maschinenbau, Kunst und Design gelehrt wurde.

Später hab‘ ich bei der Ingenieursfirma Hewlett-Packard gearbeitet. Das war nicht zufriedenstellend für mich, aber ich wusste nicht, was ich sonst machen könnte. Ich wollte einen ganz anderen Blickwinkel. Den hab‘ ich dann am MIT gefunden, in den Fächern die aus György Kepes‘ Initiative, Kunst und Technologie am MIT zu vereinigen, entstanden sind. 

Ich hatte Kurse in Computer Grafik belegt, Fotografie, Kunst … Nach meinem Diplom im Jahr 1983, wurden diese Fächer in dem neu entstandenem MIT Media Lab vereint. – Ja, die Einflüsse vom Bauhaus und der japanischen Kunst waren sehr prägend für mich.

Was fasziniert Dich an der Augmented Reality?

1982 hatte ich am MIT gelernt, Computergrafik zu programmieren. Damals hat man wochenlang programmiert, um eine Schachtel zu erzeugen, die sich dreht! Das war mühsam und ich hab‘ überlegt, die Weiterentwicklung der Computergrafik erstmals ab zu warten und was anders mit der Medienkunst zu machen. Dann, gleich nach dem Diplom, hat mein Freund Danny Hillis aus dem MIT AI Lab mich als leitende Designerin des Gehäuses für die Connection Machines CM-1 und CM-2 abgeworben. Es war der erste Supercomputer mit Künstlicher Intelligenz und ist heute in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York. Ich musste mich damals nicht um die Kosten kümmern, weil die Maschine sowieso sehr teuer war und drei bis fünf Millionen Dollar gekostet hat. Es sollte ein Design werden, das der Kunde noch nie gesehen hatte. Ich habe überlegt, wie Künstliche Intelligenz in Zukunft aussehen könnte. Was hat der Mensch für Träume? Wie kann Technik aussehen, die dem Menschen hilft? Wie kann ich einen Computer als „Teil der Familie“ gestalten? Aber auch: Wie kann die Form der Maschine etwas über ihre innovative Bauweise zeigen, die die Maschine so einzigartig macht? Die über 64.000 Prozessoren, die über ein 12-dimensionelles Netzwerk miteinander verbunden waren arbeiteten wie Neuronen in einem Gehirn.

Dieses 12-dimensionelles Netzwerk, das die Form eines Kubus aus Kuben hat, hat letztendlich die äußere Form inspiriert: ein schwarzer Kubus aus acht kleineren Kuben, so groß wie ich, mit durchsichtigen Türen, hinter denen wechselnd flackernde LEDs zu sehen sind, damit man sieht, wie die Maschine „denkt“. Die LEDs machen die Maschine erst lebendig. Über die Connection Machine kam ich zur Auffassung von Kunst als Medium, das von der Gesellschaft erzählen soll, von den Menschen und von ihren Träumen. 

Zwischen 1994 und 2010 hab‘ ich mich mit Virtual Reality (VR) beschäftigt. Das war immer sehr ortsspezifisch. Diese Arbeiten spielten sich zum Beispiel in einem US-Internierungslager oder in Venedig ab. Ich hab‘ ein paar Jahre gebraucht, um einen Ort aufzubauen, damit ich überhaupt eine Referenz hatte. Schließlich dachte ich mir, ich kann in meinem ganzen Leben nur noch zehn Kunstwerke machen. Aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Das Spiel mit Orten und Wahrnehmung, und wie VR dem Benutzer ein Erlebnis aus der Ich-Perspektive vermitteln kann, war wesentlich für meine Arbeit.

Im Oktober 2010 bekam ich eine E-Mail von einem Freund in New York. Der hat gesagt, schick mir 3-D-Kunst, ich mache zusammen mit anderen Leuten eine Intervention in MoMA New York. Wir werden AR benutzen, die auf den neuen Smartphones funktionieren. Diese neuartigen Smartphones konnten gerade 3-D-Inhalte verarbeiten. Was für eine Entwicklung! 1982 saß ich noch an Riesen-Computern im MIT, die gerade imstande waren einen sich drehenden Kubus darzustellen. Ein paar Jahrzehnte später hatten Smartphones nicht nur die Rechenleistung, in Echtzeit 3D-Computergrafik zu kalkulieren, sondern diese auch gleichzeitig über die Echtzeit-Aufnahme der eingebauten Kamera zu schichten – was wir Augmented Reality nennen. (Das iPhone 5 hat schon die Rechenleistung der Connection Machine CM-2 erreicht!)

Jetzt musste ich mich nicht mehr um den jahrelangen Aufbau eines Ortes kümmern, sondern konnte zu einem Ort fahren und in diesen Ort einen neuen Inhalt bringen.

Augmented Reality bedeutet im Grunde, einen Ort mit einer neuen Bedeutung aufzuladen. Das ist erweiterte Realität. In der analogen Welt passiert das zum Beispiel bei einer Kathedrale. Da ist ein Ort, an dem sich wunderbare Dinge ereignet haben, ein heiliger Ort sozusagen, und dann entschieden die Menschen dort eine Kathedrale zu bauen, um darauf hin zu weisen.

Oder nehmen wir das Beispiel, die „Drückebergergasse“ hinter der Feldherrnhalle am Münchner Odeonsplatz. Die Nazis hatten an der Ostseite der Feldherrnhalle eine Gedenktafel angebracht, die an die getöteten Aufständischen vom Hitlerputsch erinnerte. Dort sollten Passanten per Hitlergruß ihre Ehre erweisen. Wer das nicht wollte, nahm den Umweg über die Viscardigasse hinter der Feldherrnhalle. Heute erinnern goldene Pflastersteine in der Drückebergergasse an diesen stillen Protest. Für die Leute, die die Geschichte dahinter kennen, wird der Ort aufgeladen. – Augmented Reality ist die neueste Technik wie der Mensch seine Welt auflädt mit Erleben, Wissen oder einfach Phantasie. 

In welcher Hinsicht ist Dein Werk „Enter the Plastocene“ eine ort- und raumbezogene Arbeit?

Wir werden die Beamer jeweils mit einem Smartphone verbinden, auf dem unsere AR-App läuft, und die Beamer so aufstellen, dass sie den Raum im donumenta ART LAB Gleis 1 mit den Bildern aus der App füllen. Vorne gibt es diese enge Stelle. Sie wird in eine Korallenhöhle aus Plastikmüll transformiert und dahinter kommt man in einen offenen Raum mit den herumschwimmenden Fischen, die sich auch in Plastik verwandeln. Wir werden Spots anbringen, die die Gesichter der Besucher anstrahlen. Wenn die Smartphone AR-Apps die beleuchteten Gesichter aufnehmen, werden die Gesichter auch Teil der Projektionen – dann schwimmen die Fische um das eigene Gesicht herum.

Kann ich Dein Werk fotografieren?

Wenn Du mit Deinem Smartphone Fotos machst, kannst Du das festhalten. Zusätzlich wirst Du unsere App herunterladen können. Du hast dann noch eine weitere Ebene auf Deinem Smartphone. Die Fische werden dann im Vordergrund sein, die anderen Besucher im Mittelgrund und die AR-Projektionen im Hintergrund. – Augmented Reality bringt faszinierende Inhalte über die eigentliche Welt hinaus.

Danke für dieses Gespräch, Tamiko.

Das Interview führte Julia Weigl-Wagner

„echo on survival“ – Unter der Erde ist Leben / Interview mit Barbara Sophie Höcherl

Im donumenta ART LAB Gleis 1, inszeniert Barbara Sophie Höcherl bis zum 3. Oktober 2021 das Unscheinbare. Ihre Installationen in der Ausstellung „Echo on Survival“ sind inspiriert von der Natur. 

In diesen Arbeiten unterzieht die Künstlerin ihr Material einer Analyse, untersucht seinen Charakter und prüft Möglichkeiten der Ausarbeitung und Inszenierung. Es ist ein Spiel mit der Balance zwischen organischen und anorganischen Elementen, Naturstoffen und Materialien der Konsumgesellschaft. 

Mit ihren Arbeiten kommentiert Barbara Sophie Höcherl nicht zuletzt die eigene Biografie. Bevor sie an der Westböhmischen Universität Kunst studierte, hatte sie Staudengärtnerin gelernt. Im Interview erzählt Barbara Sophie Höcherl von natürlichen Prozessen und davon wie wichtig es ihr ist, die Natur zu verstehen. 

Zunächst eine grundsätzliche und vielleicht auch schwierige Frage, liebe Barbara Sophie Höcherl. Was treibt Dich an? Wie entstehen Deine Skulpturen?

Mein Antrieb ist die Natur. Da kommt alles her und dahin geht alles zurück. Ich denke in Kreisläufen und weiß als Staudengärtnerin relativ viel über Pflanzen. Die Natur gibt mir Halt, auch als bildende Künstlerin. Es hat ein bisschen gedauert, aber heute behaupte ich, um Natur dreht sich alles. Dann stellt sich für mich die Frage, wie kann ich das formulieren? Wie kann ich das ausdrücken? 

Ich bin verrückt nach Material – Material, das ich vorfinde, Material, das von Menschen gemacht ist und Material, das ich selbst herstellen kann. Meine Arbeiten sind oft fragil, weil sie aus Naturmaterialien bestehen. Sie sind nicht für die Ewigkeit, verändern sich, und gehen vielleicht irgendwann kaputt, weil das Material Schwächen hat und – wie Schaumstoff – keine UV-Beständigkeit. Schaumstoff ist ein gutes Beispiel für einen Stoff, der massenweise vorkommt. Wir liegen und sitzen darauf. Aber wir sehen ihn nicht, weil er immer überdeckt ist. Und in dem Moment, in dem wir Schaumstoff wahrnehmen, ist der Bezug aufgerissen und das Ding, in dem er verarbeitet wurde, muss weg, wird im besten Fall recycelt. In dem Moment, in dem es für andere wertlos ist, wird es für mich interessant. Dann benutze ich es und schaffe daraus einen neuen Wert. Ich zerschneide und untersuche es, dann wird es immer recht systematisch.  

Wie näherst Du Dich dem Material, das Du für Deine Skulpturen benutzt?

Ich frage mich, mit welcher Technik ich das Material verarbeiten kann. Was ist möglich, zum Beispiel mit einem Kirschlorbeerblatt oder einem Seerosenblatt? Ich kann beide nähen, das eine problemlos mit der Maschine, das andere muss ich im frischen Zustand nähen, weil es sonst zerbricht. 

Seit vielen Jahren arbeite ich mit Naturpigmenten. Ich koche Pflanzen mit Essig ein und arbeite mit den so gewonnenen Farben. Sie faszinieren mich. Wenn man eine Blüte vor sich hat, kann man nicht unbedingt sagen, welche Farbe das wird. Und das findet jetzt eben in „Pieces of Babylon“ in der Ausstellung im donumenta ART LAB Gleis 1 seine Entsprechung. 

Da präsentierst Du Schichten von Farben und nennst dieses Werk „Pieces of Babylon“. 

Pflanzengefärbtes Wasser – „Pieces of Babylon“ (Foto: Alexander Rosol)

Das ist die Arbeit in den transparenten Kunststoffkästen. Man kann aus diesen Kästen einen Turm bauen, der aus Versatzstücken aus der Natur besteht, die im Endeffekt nur noch einen Code ihrer früheren Form in sich tragen.

Mir geht es ganz allgemein um eine verstärkte Wahrnehmung: Wie kann ich Natur neu wahrnehmen und besser mit ihr umgehen. Und mit meinen Arbeiten vielleicht auch die Aufmerksamkeit auf Diskrepanzen richten. Vieles ist irreparabel zerstört. Wir können nicht mehr zurück, wir können nur noch vorwärts. Das erfordert für die Zukunft auch neue Sichtweisen. 

Was ist am donumenta ART LAB Gleis 1 so interessant, um diese Sichtweise zu vermitteln?

Dass sich der Raum unter der Erde befindet und im botanischen Sinn somit etwas Ursprüngliches hat. Unter der Erde passiert das Elementare – Wachsen und Vergehen. Man ist im ART LAB von einer Geräuschkulisse umgeben, die irgendwie surreal und wie gefiltert wirkt. In der Ausstellung geht es auch darum, den Ausstellungsraum bewusst wahrzunehmen und sich klarzumachen, wo er sich befindet.

Was verbindest Du mit dem Titel Deiner Ausstellung „Echo on Survival“?

Echo ist Widerhall und eben auch Rückmeldung oder Antwort. Ein Echo hat aber auch etwas Verzerrtes, es ist eine in sich instabile Form.

Und „Survival“? Es geht im Endeffekt um Kreisläufe in der Natur und vor allem darum wie wir sie unter den momentanen Gegebenheiten aufrechterhalten können. Ich bin der Meinung, wir müssen neu lernen, Pflanzen zu beachten, zu sehen und von ihnen zu lernen.

Und dazu leistest Du mit der Ausstellung „Echo on Survival“ einen sehr sinnlichen Beitrag. 

Meine Ausstellung will Menschen in einen Gefühlszustand versetzen, sie für die Wahrnehmung von Natur sensibilisieren. Ich glaube wir leben in einer Zeit, in der wahnsinnig viel verloren geht, vielleicht unwiederbringlich. 

Es geht darum, Neues zu erlernen, einen neuen Blick auf die Dinge zu erhalten. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Bäume anscheinend vor allem nachts wachsen. Ich finde es wahnsinnig spannend, wie viele neue Erkenntnisse uns die Wissenschaft mittlerweile liefert. Da gibt es so viel, was buchstäblich noch im Dunkel liegt.

Was ich damit sagen will: Hey, es ist so ein fantastischer Planet. Let’s do it!

Danke Barbara Sophie für dieses Gespräch.