Geister oder: Ein Malerhimmel für Peter Engel

Seit Monaten arbeitet der Regensburger Illustrator und Bühnenbildner Peter Engel am Österreicher Weg in Regensburg. Entrückt zwischen 60er-Jahre-Pragmatismus und der wildromantischen Szenerie der Winzerer Höhen liegt dieser Ort zwischen Himmel und Erde. Am Sonntag, den 11. Oktober 2020 zwischen 13 und 18 Uhr öffnet Engel dort das Artelier gewordene Haus. – Dieser Bericht handelt von einem Besuch im Juni 2020.

Peter Engel öffnet die Tür. Es klingt wie eine Begrüßung, eine Eröffnung, ein erster Satz: „Erst hier habe ich mit dem Malen begonnen“, sagt er. Ich selbst begegnete diesem Haus einst bei Festen, Kaffeerunden und einem Besuch nach dem Tod seiner letzten Bewohnerin vor ein paar Jahren. Unter diesem Dach versammelten sich mit den hier lebenden Menschen umständliche, schöne und nützliche Dinge, Triviales, Literatur, Musik, Möbel, Vorhänge aus honigfarbener Seide oder mit pastelligem Wildblumendruck. Drei Kinder aus diesem Haus wurden Buchhändler, eines leitet heute ein Museum. Engels Bilder passen hier her wie die Glyzinie an der Fassade, die den Blick aus einem Fenster im ersten Stock zum Kunstwerk rahmt.

Seit Frühjahr 2020 arbeitete Peter Engl in einem 60er-Jahre-Haus am Österreicher Weg hoch über den Dächern Regensburgs. (Foto Julia Weigl-Wagner)

Der Geist seiner Bewohner weht noch die Treppen hinauf und hinunter. Jetzt mischen Peter Engels Gemälde diese Atmosphäre auf. Zwischen Luft und Liebe hängen sie ihrer eigenen Vorstellungskraft nach. Die Betonung liegt auf Kraft, denn wer sie einmal gesehen hat, erinnert sich wieder und wieder an sie. – Im Flur lässt zwischen zwei Türstöcken eine riesenhafte vielfingerige Figur die Muskeln spielen, um bösen Geistern das Handwerk zu legen. Im Schatten des gemalten Ungetüms erinnern aus der Wand ragende und mit Papierstreifen umwickelte Drähte an ein Mäusegerippe. Mit Farbe und Pinsel bemalt Engel Leinwand für Leinwand mit Leben.

Petersburgisch gehängt zwischen Türstöcken, Lichtschaltern, Fensterrahmen, Lampenschirmen, Fliesen und Erinnerung ergänzt seine Malerei das ausgeräumte Haus wie ein object trouvé zu einer großen Installation. Wer das Haus betritt, wird Teil davon, fügt sich ein in den Nachhall von Plappern, Winseln, Alltag und Glück. „Noch als ich davor stand, war ein Geräusch wie Harren oder Achten …“, steht auf der schwungvoll mit roter Farbe grundierten Leinwand neben der Haustür. Dahinter zeigt die nackte Wand neben den Glasbausteinen im Treppenhaus Reste von Kleister, Tapete und Zeit.

Im Wohnzimmer behauptet die sechsbeinige schwarze Qualle neben einem altrosa gepolsterten Sessel mit geflochtenen Lehnen ein Wildschwein zu sein. Engels große Passion, mit Worten den Sinn derselben zu verdrehen und dem Absurden möglichst viel Platz zu geben, hat hier freies Spiel. Der Maler weiß um den großen Mangel in einer Welt der Kopffüßler, die vor lauter Hypothese und Theorie keinen Witz mehr verstehen. So ist es ein Wunder, dass sich das Fantastisch-Groteske hier am Stadtrand so unanständig entfalten kann. Nicht mehr lange, heißt es, dann wird das Absurde domestiziert dem Samstagabend-Kunstpublikum präsentiert in einer Galerie an einheitlich gestrichenen Wänden. Peter Engel wird dann schreiben: „Jetzt verlassen die Bilder Österreichs Höhen und wandern nach Südtirol, genauer zum Brixener Hof …“

Neben dem qualligen Wildschwein zeigt sich die Bäckerei Rembrandt schwarz wie das Innere eines Holzbackofens. Nur am Fischgrät-Parkett scheint das züngelnde Feuer kaum geleckt zu haben. Von der schwarzen Ölfarbe verlaufen sich nur ein paar Tränen in den Parkettboden hinein. Ziegen, ein roter Mond und eine schwarze Kaulquappe auf rotem Grund stehen in der guten Stube für Schwarzbrot, Semmeln und Brezen Schlange vor der verschlossenen Tür: „Bäckerei Rembrandt: Closed“. Wartend genießen sie den Blick aufeinander und hinaus in die grüne Hölle vor der Terrassentür.

Im Esszimmer, wo einst das Klavier stand, macht ein weißer Leinwand-Elefant Yoga. Eine Leuchte mit Stoff bezogenem Schirm erhellt den imaginären Esstisch, dahinter sein Gegenentwurf – ein wackeliger Turm aus Tischen. Kann sein, dass man mit dem Essen nicht spielt, mit Tischen schon, mit Asphaltgrau, Rosa und dem welligen Dazwischen auch.

Wie herrlich angeregt sich der Lampenschirm aus Holzplättchen und der kugelrunde Pflaumenbaum über seine riesigen Früchte unterhalten. Nur manchmal quatschen Hose und Tor vor rotem Grund dazwischen. Was anziehen? Wohin ausgehen? Im Badezimmer daneben steigt das große „Spieglein-Spieglein-an-der-Wand“. Beim Verkleiden spielen Krebs und Fisch aus Ton geformt mit der verwischt gemalten Langzeitbelichtung eines Verfassungsrichters „Wer-ist-der-Schönste-im-ganzen-Land?“ – Leonardos Mona Lisa steht derweil angekleidet unter der Dusche.

Sauber, in Schale geworfen und mit Hut geht Herr Meier hinaus, grüßt ein Krokodil und geht hinaus in die vor Scham errötete „Welt mit Essigbaum“. Was könnte man hier noch tun? Im Dickicht der Stadt rät Peter Engel: „Du findest den Automaten leicht. Er hängt am ersten Haus rechts. Man kann das sofort benutzen. Auch wenn Umstehende anderes behaupten.“

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