#donumenta – Mehrgängiges visuelles Festmahl

Die frühneuzeitlichen Gobelins im Historischen Museum der Stadt Regensburg erfahren durch die Linse zweier Wiener Künstlerin eine neue Bedeutung – im donumenta ART LAB on the Move im Regensburger Stadtosten an der Kreuzung Straubinger Straße / Kastenmaierstraße.

Das Werk von Gabriele Edlbauer und Julia S. Goodman heißt “And Now a Few Words From Our Sponsors“ (dt. Und nun ein paar Worte von unseren Sponsor*innen”). In diesem anspielungsreichen Werk geht um Essen, Geld und Konsum.

Hommage an historische Wandteppiche

Wie die farbigen Fäden in einem Wandteppich, weben die Wiener Künstlerinnen Gabriele Edlbauer und Julia S. Goodman in ihren Arbeiten Erzählstränge aus Populärkultur, Kunstgeschichte und Alltag ineinander. Ihr aktuelles Werk für die dritte Station des donumenta ART LAB on the Move ist eine Hommage an die frühneuzeitlichen Wandteppiche „Kampf gegen die Laster und Tugenden“ (ca. 1400) und “Wilde Leute” (1400 – 1420) im Historischen Museum der Stadt Regensburg. 

Die Präsentation von Edlbauer und Goodman besticht durch Humor und Detailverliebtheit, die vielfältige Assoziationen hervorrufen können. In diesem Werk vermischen sich alberne Wortspiele, tiefgründige politischen Andeutungen und vieles mehr. Wer sich mit dieser Installation beschäftigt, genießt schließlich ein mehrgängiges visuelles Festmahl.

Humorvolle Annäherung

In ihrer Zusammenarbeit verbinden die Künstlerinnen Malerei und Skulptur. Dabei beziehen sie sich jeweils auf lokale Bildwelten. Für ihre Regensburger Arbeit wählten sie Motive aus dem 15. Jahrhundert und entwickelten daraus neue Narrative.

Die Installation für das donumenta ART LAB on the Move setzt sich aus zwei großen Gemälden – Rücken an Rücken montiert – und einer Vielzahl von Keramiken zusammen. Das eine Gemälde zeigt in Referenz zu den Teppichen, die Protagonist*innen, die die Ausstellung “And Now a Few Words From Our Sponsors” ermöglichten. Die persönlichen Verbindungen zu einem Ort und seinen Menschen sind wichtige Faktoren in der Kunstproduktion. In allen Epochen verewigen sich Künstler*innen und ihre Auftraggeberinnen in ihren Werken. Wer genau hinschaut, entdeckt die künstlerische Leiterin des donumenta e.V. und Trägerin des diesjährigen Kulturpreises der Stadt Regensburg. Weil sie seit vielen Jahrzehnten Künstler*innen den Zugang zur Stadt ermöglicht, hält sie die Schlüssel zur Stadt in ihren Händen. Kuratorin Antonie Angerer, gebürtige Regensburgerin, schuf die Verbindung zur UNESCO Weltkulturerbestadt. Angerer schwebt mit ihren beiden Schwestern über der Szene.

Frauen schaffen neue Räume des Dialogs

Das zweite Gemälde bildet den Hintergrund für zahlreiche handgefertigte Keramiken. Überdimensionierte Lebensmittelbehälter erinnern sowohl an Ketchup-Flaschen, und Senftuben als auch an Farbtuben und -töpfe. Ihre handbemalten oder glasierten Etiketten transferieren die Warenwelt des 21. Jahrhunderts ins Mittelalter. Das Design der Logos greift die Tier- und Pflanzenwelt der Teppiche auf. Die Keramiken verbinden sich mit der Malerei, der Makroaufnahme des gewebten Stoffes. Die gesamte Installation bedient sich Versatzstücken aus beiden Teppichen. Tatsächlich wurden diese Teppiche über Jahrhunderte hinweg immer wieder zerschnitten und neu zusammengesetzt. 

Mit feministischer Linse extrahieren Edlbauer und Goodman Figuren aus den historischen Wandteppichen und übersetzen sie in eine zeitgenössische Bildsprache. Sie thematisieren Geschlechterrollen und historische Fiktion, indem sie diese mit ihrer eigenen künstlerischen Ästhetik verbinden und neue Zusammenhänge herstellen. Sie füllen die grauen Bereiche aus, die verlorene Teile der Teppiche kennzeichnen. Diese Leerstellen, sowie die Würzmittel, die faden Lebensmitteln Geschmack verleihen, dienen als Metaphern dafür, Altes neu zu denken. So sind es in dieser Installation die Frauen, die Kunst ermöglichen, schaffen und nutzen, um neue Räume des Dialogs zu schaffen. 

Die Ausstellung wird bei Tag und Nacht für alle Besucher*innen und insbesondere die Nachbar*innen sichtbar sein. An zwei Samstagen (21.09. und 12.10.2024) lädt der Verein donumenta e.V. jeweils zwischen 11.00 Uhr und 13.00 Uhr zum Dialog, um die vielfältigen Aspekte dieses mehrgängigen visuellen Festmahls zu diskutieren.

Die Künstlerinnen

Gabriele Edlbauer (*1988, Linz) studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien (2006–2012) und am Royal Institute of Art in Stockholm (2009–2011).

Edlbauer hat an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland teilgenommen, darunter sind die Luleå Biennale in Schweden, Belvedere 21 in Wien, Offenes Kulturhaus in Linz, Contemporary Istanbul, Kunstverein Dortmund und Luckman Gallery in Los Angeles. Zu ihren Residenzen zählen unter anderem Red Gate Residency in Peking/China, Black Sea Calling in Krasnodar/Russland und Spread Art in Detroit/USA. 

Julia S. Goodman (*1987, New York) machte 2020 ihr Diplom an der Akademie der bildenden Künste Wien und 2009 einen BFA der New York University. 

Ausgewählte Ausstellungen in Österreich bei Belvedere 21, MQ Art Box, Galerie Zeller van Almsick, Galerie Raum mit Licht, Galerie 5020, VBKÖ, ksRoom, One Work Gallery. Sie hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen teilgenommen, darunter Na rayone, Novo Molokova, Moskau, Queer Encounters / Vienna trans LA, Los Angeles, I guess the diet’s working, Galerie Zahorian & Van Espen, Bratislava, SubDocumenta, Athens Museum of Queer Arts, Athen.

Die Kuratorinnen

Antonie Angerer (*1986) ist gebürtige Regensburgerin, Kuratorin und Forscherin. Derzeit arbeitet sie an einem vom BMBF geförderten Projekt mit dem Titel „Social Worlds: China‘s Cities as Spaces of Worldmaking“ an der Universität Würzburg. 2014 gründete sie in Beijing die unabhängigen Kunst- und Forschungsplattform I: project space für kunstbasierte Forschung, internationalen Austausch und Ausstellungen und leitete die Institution bis 2023. Angerer kuratierte international Ausstellungen und hielt Fachvorträge, u. a. bei der documenta fünfzehn, dem Kunstmuseum Wolfsburg, dem Artspace Sydney und dem CAFAM (China Academy of Fine Arts Museum) Beijing. Heute ist Angerer als freiberufliche Kuratorin in Deutschland tätig und promoviert an der Freien Universität Berlin über die Imagination einer Stadt der Zukunft.

Anna-Viktoria Eschbach (* 1987) arbeitete als Kuratorin und Autorin an Projekten für die documenta fünfzehn, das Kunstmuseum Wolfsburg, das Artspace Sydney, das CAFAM (China Academy of Fine Arts Museum) Beijing und das Ludwig Museum in Budapest. Von 2014 bis 2020 baute sie das kuratorische Büro und Residenzprogramm von I: project space in Beijing auf. Thematischer Schwerpunkt waren Urbanisierung, Gender-Konzepten im asiatisch-pazifischen Raum, unabhängige Kunsträume, neuen Medien und digitale Kunst. Bis 2022 arbeitete sie an dem mehrjährigen kuratorischen Forschungsprojekt „Beijing22“, das den urbanen Wandel im Großraum Beijing dokumentierte. Als Mitglied des schweizerisch-chinesischen Verlags tria veröffentlichte Anna-Maria Eschbach zahlreiche Bücher über Kunst, Theorie, Stadtentwicklung und China. An der Kunstuniversität Linz promoviert Eschbach über Museen und Soft-Power-Politik in China.

Noch bis 13. Oktober an der Kastenmaierstraße 1, Ecke Straubingerstraße, vor der Raiffeisenbank Regensburg.

#donumenta – Mach Dich zu einer Wassernixe

REGENSBURG. Für das Dörnbergforum gestaltete die Frankfurter Künstlerin Tina Kohlmann eine imaginäre Wasserwelt mit sympathischen Wesen, die einen in die eigene Phantasie entführen. Bis zum 25. August 2024 gastiert das donumenta ART LAB on the Move mit dieser Installation im Dörnbergforum im neuen Stadtviertel an der Kumpfmühler Brücke.

Bei 30 Grad im Schatten wird sehr schnell klar, was Planer*innen auf dem dreieckigen Platz zwischen Geschäften und Restaurants im neuen Dörnberg-Viertel vergessen haben: Wasser. Tina Kohlmann, Künstlerin aus Frankfurt bringt zumindest eine Vorstellung davon auf den überhitzten Platz. Kuratiert von Antonie Angerer und Anna Eschbach gestaltete Kohlmann eine anregende und richtig coole Wasserwelt. Schon am Vorabend der Präsentation dieses schillernden Werks versammelten sich feiernde Abiturient*innen vor dem Kunstlabor, imaginierten sich selbst in die Wasserwesen, deuteten es als Avatare und fotografierten sich paarweise vor den illuminierten Wasserwesen. Mit seinen spiegelnden Augen sind sie wie gemacht dafür, sich selbst zu erkennen.

Bewusstsein für öffentlichen Raum

Das Dörnbergforum ist die 2. Station des Projekts, das Dialog und Begegnung in Stadtteilen außerhalb des UNESCO Weltkulturerbes fördert. Jeden Samstag zwischen 11.00 Uhr und 13.00 Uhr lädt der donumenta e.V. vor Ort zu Gesprächen. Die Themen setzen jeweils die Besucher*innen. Wie wichtig das ist, zeigen die Genehmigungsprozesse für die Kunst im öffentlichen Raum. Wer glaubt, dass es mit Anfragen bei der Stadt getan sei, weil er öffentliche Raum allen Bürger*innen gehört, irrt. Die Anfragen bei Investmentgesellschaften führen mitunter bis zu den Kaiman-Inseln. Mit seiner Arbeit will der donumenta e.V. ein Bewusstsein für die gemeinsamen Orte schaffen. „Die Stadt gehört uns“, sagt Regina Hellwig-Schmid, 1. Vorsitzende des Vereins. 

Kunst findet im Leben statt

Diese Auffassung teilen die Kuratorinnen Antonie Angerer und Anna Eschbach. Seit vielen Jahren geht es ihnen darum, mit dem Vehikel der Kunst, Orte für Begegnung und Experimente zu schaffen. „Kunst findet im Leben statt und nicht in White Cubes“, sagt Angerer. In Regensburg aufgewachsen, entwickelte die Kunstexpertin unter anderem in zehn Jahren Peking Strategien, um im öffentlichen Raum Passant*innen einzubeziehen, wenn es um die gesellschaftliche Bedeutung des öffentlichen Raums geht. Auch wenn sich Angerer bisher nicht vorstellen konnte, sich einmal für ein Projekt in Regensburg zu engagieren. Jetzt freut sie sich über das aufregende Heimspiel im Dörnbergforum. Das Konzept des donumenta ART LAB on the Move überzeugte sie. Gemeinsam mit Co-Kuratorin Anna Eschbach wird sie auch die 3. Station des donumenta ART LAB on the Move im Regensburger Osten konzipieren.

Tor in eine andere Welt

Mit Tina Kohlmann teilen die Kuratorinnen ihre große Neugier auf das Verborgene, auf das, was sich unter der Oberfläche befindet. Im Bild der Wasserwelt verschmelzen diese Aspekte miteinander. „Go make thyself like a nymph o‘ th‘ sea” (dt. Mach dich zu einer Wassernixe!), der Titel von Kohlmanns Installation ist Shakespeares „Sturm“ entlehnt. „Der Text beginnt mit der Anrufung der Kunst, die Veränderung bringen soll.“ So entschlüsselt Anna Eschbach die Bedeutung von Kohlmanns Werk.

Ihre gelb leuchtenden, sehr sympathischen, mal traurigen, mal heiteren, überlebensgroß wachenden Figuren mit ihren das Gegenüber reflektierenden Augen geben mannigfache Möglichkeiten, sich in sie hineinzuversetzen und sich selbst zu verwandeln. Dabei wirkt die Hülle, in die sie hineingestellt sind, das auf zwei Seiten transparente donumenta ART LAB on the Move, wie ein Portal, das Tor in eine andere Welt. Es lädt dazu ein, die Dinge mit anderen Augen zu sehen, aus einer neuen Perspektive wahrzunehmen. Dabei wirbt es um Respekt für andere Lebenswelten – funkelnd, warm und vielschichtig: Versuche es auch: „Mach Dich zu einer Wassernixe.“

Beitragsfoto: Von links: Die Kuratorinnen Antonie Angerer und Anna Eschbach, Künstlerin Tina Kohlmann und donumenta-Vereinsvorsitzende Regina Hellwig-Schmid. (Foto: Laura Bork)