„echo on survival“ – Unter der Erde ist Leben / Interview mit Barbara Sophie Höcherl

Im donumenta ART LAB Gleis 1, inszeniert Barbara Sophie Höcherl bis zum 3. Oktober 2021 das Unscheinbare. Ihre Installationen in der Ausstellung „Echo on Survival“ sind inspiriert von der Natur. 

In diesen Arbeiten unterzieht die Künstlerin ihr Material einer Analyse, untersucht seinen Charakter und prüft Möglichkeiten der Ausarbeitung und Inszenierung. Es ist ein Spiel mit der Balance zwischen organischen und anorganischen Elementen, Naturstoffen und Materialien der Konsumgesellschaft. 

Mit ihren Arbeiten kommentiert Barbara Sophie Höcherl nicht zuletzt die eigene Biografie. Bevor sie an der Westböhmischen Universität Kunst studierte, hatte sie Staudengärtnerin gelernt. Im Interview erzählt Barbara Sophie Höcherl von natürlichen Prozessen und davon wie wichtig es ihr ist, die Natur zu verstehen. 

Zunächst eine grundsätzliche und vielleicht auch schwierige Frage, liebe Barbara Sophie Höcherl. Was treibt Dich an? Wie entstehen Deine Skulpturen?

Mein Antrieb ist die Natur. Da kommt alles her und dahin geht alles zurück. Ich denke in Kreisläufen und weiß als Staudengärtnerin relativ viel über Pflanzen. Die Natur gibt mir Halt, auch als bildende Künstlerin. Es hat ein bisschen gedauert, aber heute behaupte ich, um Natur dreht sich alles. Dann stellt sich für mich die Frage, wie kann ich das formulieren? Wie kann ich das ausdrücken? 

Ich bin verrückt nach Material – Material, das ich vorfinde, Material, das von Menschen gemacht ist und Material, das ich selbst herstellen kann. Meine Arbeiten sind oft fragil, weil sie aus Naturmaterialien bestehen. Sie sind nicht für die Ewigkeit, verändern sich, und gehen vielleicht irgendwann kaputt, weil das Material Schwächen hat und – wie Schaumstoff – keine UV-Beständigkeit. Schaumstoff ist ein gutes Beispiel für einen Stoff, der massenweise vorkommt. Wir liegen und sitzen darauf. Aber wir sehen ihn nicht, weil er immer überdeckt ist. Und in dem Moment, in dem wir Schaumstoff wahrnehmen, ist der Bezug aufgerissen und das Ding, in dem er verarbeitet wurde, muss weg, wird im besten Fall recycelt. In dem Moment, in dem es für andere wertlos ist, wird es für mich interessant. Dann benutze ich es und schaffe daraus einen neuen Wert. Ich zerschneide und untersuche es, dann wird es immer recht systematisch.  

Wie näherst Du Dich dem Material, das Du für Deine Skulpturen benutzt?

Ich frage mich, mit welcher Technik ich das Material verarbeiten kann. Was ist möglich, zum Beispiel mit einem Kirschlorbeerblatt oder einem Seerosenblatt? Ich kann beide nähen, das eine problemlos mit der Maschine, das andere muss ich im frischen Zustand nähen, weil es sonst zerbricht. 

Seit vielen Jahren arbeite ich mit Naturpigmenten. Ich koche Pflanzen mit Essig ein und arbeite mit den so gewonnenen Farben. Sie faszinieren mich. Wenn man eine Blüte vor sich hat, kann man nicht unbedingt sagen, welche Farbe das wird. Und das findet jetzt eben in „Pieces of Babylon“ in der Ausstellung im donumenta ART LAB Gleis 1 seine Entsprechung. 

Da präsentierst Du Schichten von Farben und nennst dieses Werk „Pieces of Babylon“. 

Pflanzengefärbtes Wasser – „Pieces of Babylon“ (Foto: Alexander Rosol)

Das ist die Arbeit in den transparenten Kunststoffkästen. Man kann aus diesen Kästen einen Turm bauen, der aus Versatzstücken aus der Natur besteht, die im Endeffekt nur noch einen Code ihrer früheren Form in sich tragen.

Mir geht es ganz allgemein um eine verstärkte Wahrnehmung: Wie kann ich Natur neu wahrnehmen und besser mit ihr umgehen. Und mit meinen Arbeiten vielleicht auch die Aufmerksamkeit auf Diskrepanzen richten. Vieles ist irreparabel zerstört. Wir können nicht mehr zurück, wir können nur noch vorwärts. Das erfordert für die Zukunft auch neue Sichtweisen. 

Was ist am donumenta ART LAB Gleis 1 so interessant, um diese Sichtweise zu vermitteln?

Dass sich der Raum unter der Erde befindet und im botanischen Sinn somit etwas Ursprüngliches hat. Unter der Erde passiert das Elementare – Wachsen und Vergehen. Man ist im ART LAB von einer Geräuschkulisse umgeben, die irgendwie surreal und wie gefiltert wirkt. In der Ausstellung geht es auch darum, den Ausstellungsraum bewusst wahrzunehmen und sich klarzumachen, wo er sich befindet.

Was verbindest Du mit dem Titel Deiner Ausstellung „Echo on Survival“?

Echo ist Widerhall und eben auch Rückmeldung oder Antwort. Ein Echo hat aber auch etwas Verzerrtes, es ist eine in sich instabile Form.

Und „Survival“? Es geht im Endeffekt um Kreisläufe in der Natur und vor allem darum wie wir sie unter den momentanen Gegebenheiten aufrechterhalten können. Ich bin der Meinung, wir müssen neu lernen, Pflanzen zu beachten, zu sehen und von ihnen zu lernen.

Und dazu leistest Du mit der Ausstellung „Echo on Survival“ einen sehr sinnlichen Beitrag. 

Meine Ausstellung will Menschen in einen Gefühlszustand versetzen, sie für die Wahrnehmung von Natur sensibilisieren. Ich glaube wir leben in einer Zeit, in der wahnsinnig viel verloren geht, vielleicht unwiederbringlich. 

Es geht darum, Neues zu erlernen, einen neuen Blick auf die Dinge zu erhalten. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Bäume anscheinend vor allem nachts wachsen. Ich finde es wahnsinnig spannend, wie viele neue Erkenntnisse uns die Wissenschaft mittlerweile liefert. Da gibt es so viel, was buchstäblich noch im Dunkel liegt.

Was ich damit sagen will: Hey, es ist so ein fantastischer Planet. Let’s do it!

Danke Barbara Sophie für dieses Gespräch.

Über das Denken in elliptischen Bahnen – Interview mit Notburga Karl

Die Bildhauerin Notburga Karl ist bekannt für ihre Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Anlässlich des 450. Geburtstag des Mathematikers und Astromonem Johannes Kepler widmet die Künstlerin ihre Ausstellung „K wie …“ der Ellipse. Schließlich steht im ersten der Kleplerschen Gesetze, dass sich die Planeten nicht in regelmäßigen Kreisbahnen um die Planeten bewegen, sondern in Ellipsen. Im Interview erklärt Notburga Karl, warum die Ellipse so wichtig ist und wer sich in Kunst und Philosophie sonst auf die Ellipse bezogen hat. Notburga Karls Ausstellung ist noch bis zum 22. August 2021 im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof Regensburg zu sehen.

Herzlich Willkommen, Notburga Karl, zu diesem Interview anlässlich der Ausstellung  „K wie …“. Was bedeutet „K wie Kontingenz“? – So hattest Du ursprünglich getitelt.

K wie Kontingenz, K wie Karl – das bin ich, K wie Johannes Kepler – das ist der Astronom und Mathematiker auf den ich mich in dieser Ausstellung beziehe, K wie Kounellis, das ist mein Arte Povera Prof., es gibt so viele Ks, K wie Klaus, K wie Körperlichkeit und Krise, K wie Konzept, K wie Kunst und Kosmos, wie kaputt, wie Katastrophe, Katapult, wie Konsumkritik … Ich könnte diese Reihe unendlich fortsetzen. Kontingenz: Das ist eine Möglichkeit und gleichzeitige Nichtnotwendigkeit. Für mich als Künstlerin hat Keplers physikalischer Begriff der kosmischen Leere auch eine poetische Dimension.

Was fasziniert Dich als Künstlerin an dem Astronomen und Mathematiker Johannes Kepler?

Kepler ist ja ein unglaublich bedeutender Wissenschaftler, der sehr viel prägendes Gedankengut hinterlassen hat. Ein Wissenschaftler denkt aufgrund seiner Forschungsaufgabe anders als ein Künstler, wobei sich beide auch wieder sehr nah kommen können. Auch ein Wissenschaftler wie Kepler war, ähnlich wie ein Künstler, auf seine Intuition und Imaginationskraft angewiesen.

Ganz konkret: Vor Kepler lag Tycho Brahes Daten-Material, das seinem gesamten angestammten Weltbild widersprach. Er hatte ja vorher über die Harmonie der Welt geschrieben. Es muss ihm wie ein Frevel an diesem Weltbild vorgekommen sein, in seinen Gesetzen die Kreisform zu verlassen und stattdessen konsequent zu formulieren: Die Planeten kreisen in elliptischen Bahnen um die Sonne. Deshalb ist er auch so einschlägig geworden. Verbrannt wurde er dafür nicht mehr.

Wie kam es dazu, dass Du Dich mit ihm beschäftigst?

Ich fand es interessant, dass sich auch Aby Warburg explizit auf die Ellipse bezieht. Dieser Kunst- und Kulturwissenschaftler, der mich eine Zeitlang beschäftigte, hat in seine Hamburger Bibliothek diese Ellipse hineingebaut. Für mich als Künstlerin ist die Ellipse deshalb so wichtig, weil es die Form ist, in der der statische Kreis Fahrt aufnimmt. Die Ellipse steht für das Aufbrechen von gefestigten, zu schön gewordenen Formen. Das macht die Ellipse zu einem starken Symbol. Warburgs Bibliothek mit ihrem elliptischen Grundriss ist nicht nur ein Ort der abgestellten Bücher, sondern auch ein Denkort oder aus künstlerischer Sicht sein geistiges Atelier, in dem verschiedene Denk- und Handlungsformen praktiziert werden. Bekannt geworden ist Aby Warburg auch durch seinen Mnemosyne-Atlas, der zum Methodenprogramm der Bildwissenschaft avanciert ist. Ein Bild ist kein fixes Lehrstück, sondern Ausdruck eines dynamischen Denkens und Wahr Nehmens. Kennst Du die Geschichte, dass er – der erstgeborene Bankhaus-Sohn – auf sein Erbe verzichtete, aber dafür von seinem Bruder jedes Buch bekam, das er wollte? Falls es nicht stimmt, mag ich den Mythos. Er orientiert.

Schöne Geschichte, die gefällt mir auch.

Eine weitere freudige Entdeckung an Kepler: Er hat sich auch mit Optik beschäftigt, mit der Brechkraft von Linsen, mit Ein- und Zweiäugigkeit. Und da haben wir sie wieder, die Ellipse, dieses Rausschieben auf einen zweiten Mittelpunkt, das Ambivalente. Dynamisch gesehen ist Ambivalenz wunderbar. Sie impliziert das Abwägen und Anpassen an Situationen. – Diese in Bewegung geratene Perspektive appelliert an meinen – K wie konzeptionellen Kunstansatz.  

Auch Marcel Duchamp hat sich dezidiert mit Optik beschäftigt. Da gibt es wunderbare Werke, zum Beispiel die Roto Reliefs mit einem umfunktionierten Plattenspieler. Er hat sich einschlägige wissenschaftliche Informationen beschafft und seine Notizzettel – als Gedankenspuren – in der so genannten Weißen Schachtel zum Kunstwerk erklärt. Ein dichter mentaler Denkraum, diese Zettelboxen – es gibt mehr davon. In diesen Denkkästchen hinterlässt er ein Denken in relativen Bezügen, in dem sich der frühneuzeitliche Rationalismus à la René Decartes auflöst und damit die Dominanz einer einäugigen Perspektive. Das Machtvolle dieser einäugigen Perspektive ist ja bekannt – das reicht ja bis zu Schussbahnen – nicht nur die der Fotografie. Das Bipolare der Ellipse löst auch den statischen Kreis auf. Auch Aby Warburg hat sich sehr mit dem Bipolaren beschäftigt und Kepler übrigens als den ersten modernen Denker herausgestellt. Das sind die Denkstränge, die mich interessieren, und sie verknoten sich für mich mit Kepler wunderbar. – So kann ich trotz all der schweren Thematik mit einem humanistischen Weltbild flirten.

Wenn ich die Ellipse als Kreis setze, der Fahrt aufgenommen hat, dann ist da auch das Elastische drin, das Geschmeidige. Das ist für mich als Bildhauern wichtig. Man denkt, in der Bildhauerei gäbe es fixe Kanten und Grenzen. Das ist nicht so. Die Frage ist, wie ein Körper erfahrbar wird, der in seinen Grenzen einen Spielraum hat. Bei Kepler, da bewege ich mich an der Grenze zwischen einer Wissenschaftlerin und einer Künstlerin und befinde mich in einer Zeit, in der sich das Denken bricht. Kepler ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel Mühe es kostet und wie lange das dauert, bis neues Denken, Umdenken gelingt.

Können wir die Form der Ellipse als Metapher nutzen, um uns aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen, umzudenken?

Warum nicht? Umdenken dauert, es macht Mühe und geht nicht so schnell. Da hängt Schwerkraft drin. Wir sehen das aktuell im Zusammenhang mit dem Umweltschutz oder der Klimadebatte. Man ist ja immer wieder verwundert, wie lange so etwas dauert. Auch wenn die Evidenzen da sind. Das Handeln muss von bestehenden Zusammenhängen entkoppelt werden. Dazu braucht es Mut. Sich selbst bipolar zu betrachten, hilft.

Es ist einfacher Ideale zu haben und schwieriger eine Ellipse auszuhalten. Die perfekte Form ist vielleicht ein Grundbedürfnis, obwohl es sie in der Natur nirgends gibt. Kepler ist eine Übung in Ernüchterung. Das ist ein sehr versöhnlicher Ansatz. Man kann sich total für die Ellipse begeistern. Der absolute Kreis kommt auch ohne uns aus. Das hat auch Warburg so fasziniert an dieser Denkform, die in Bewegung bleibt und auch nie zur Ruhe kommt. Der Anfang ist die Bewegung und nicht der Stillstand. Möglicherweise – um das ganze medial zu hinterfragen – sind statische Bilder verantwortlich für ein statisches Weltbild.

Der Astronom und Himmelsforscher im donumenta ART LAB Gleis 1 der ehemaligen Fußgängerunterführung am Hauptbahnhof? Warum passt Deine Installation in diesen ungewöhnlichen Kunstraum?

Was im Tunnel angelegt ist, ist – konzeptuell gesehen – ein Fernrohr. Und dann ist da – im Querschnitt – eine halbe Ellipse. Ich bin von meinem Grundverständnis her eine Bildhauerin und deshalb brauche ich etwas, was mich hinauskatapultiert aus dieser Röhre. Ich bin fündig geworden bei einem ausgebrannten Auto. Das Verbrennen und das Verglühen eines Sternes waren mir in den Sinn gekommen. Dieses ausgebrannte Auto ist jetzt das Gefährt, wie ein Platzhalter. Konzeptuelle Kunst hat ja ein intrinsisches Darstellungsproblem. Dagegen kann sich vom Gefährt aus nun etwas Widerständiges entwickeln, um nicht in meinem Fernrohr oder in der Projektion in die Ferne verloren zu gehen. Es ist ein Platzhalter, ein Unort, eine raum-zeitliche Setzung, ähnlich einem Modell, um daraus etwas zu entwickeln. Die extreme Tiefe des Tunnels ist auch spannend. Man kann über Tiefenabstände arbeiten. Ich verfolge im Tunnel tatsächlich einen sehr bildhauerischen Ansatz. Ich arbeite mit etwas sehr Handfestem, mit Ton. Das rudimentär Unspektakuläre finde ich faszinierend und versuche meine Idee sehr bildhauerisch handwerklich umzusetzen. Ton ist ein tolles Material und die Ellipse spielt ihre Rolle in einer künstlerisch transformierten Form.

Dann die Überlegung: Meteoriteneinschläge – von anderen Sternen liegen Gesteinspartikel auf der Erde herum. Sterne sind so wahnsinnig weit weg und immer ein Bild für etwas Großes, das so klein werden kann wie Meteoritenreste, die irgendwo eingeschlagen sind. Es gibt Forscher, die Sternoberflächen in Geräusche umwandeln. Das Darstellungsproblem Stern – als Konzeptkünstlerin interessiert mich die Darstellung. Auf was kann ich zurückgreifen? Wann geht etwas verloren? Wie kann ich etwas hinzugewinnen?

Es ist auch eine Kritik an der Repräsentation, weil es Phänomene gibt, die sich nicht einfangen lassen.

Die Ausstellung im donumenta ART LAB Gleis 1 wird auch von der Haptik leben, vom sich Herantasten, vom Ausloten.

Was wünschst Du Kepler zum Geburtstag?

Dass er in Erinnerung bleibt – über Jahreszahlen und Gedenktafeln hinaus.  

Vielen Dank für dieses Gespräch, Notburga.

Das Interview führte Julia Weigl-Wagner am 19.06.2021

Foto: Parabelle – Installation von Notburga Karl im Kepler-Denkmal in Regensburg (Foto: Anatol Schmid)

Die kinetischen Dystopien der Catharina Szonn – Interview

Catharina Szonn studierte in Offenbach, Reykjavik Wien Malerei. Ihr Credo: Die Grenzen zu philosophischen Themen, Text und Sprache sind fließend und „Material ist Farbe“. Wenn die Künstlerin nicht gerade an ihren kinetischen Dystopien arbeitet, beschäftigt sie sich mit Texten.

In ihrer Kunst setzt sich Catharina Szonn mit Wirtschaft, Technik und Gesellschaft auseinander. Sie fragt: „Was wäre, wenn die Welt bereits nicht mehr zu retten wäre?“ – Indem sie so tut als würde sie die Zukunft zeigen, entdecken die Betrachter*innen ihrer rotierenden Werke, dass die Zukunft längst Gegenwart geworden ist.

Die Regensburger Schau „High Noon“ ist nach zahlreichen Gruppenausstellungen die dritte Einzelausstellung der Frankfurter Künstlerin. Vom 26. Mai bis zum 27. Juni 2021 ist sie jeden Mittwoch von 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof Regensburg zu sehen.

Catharina Szonn ist Künstlerin aus Frankfurt am Main. In ihrer Regensburger Ausstellung "High Noon" im donumenta ART LAB Gleis 1 zeigt sie kinetische Dystopien.
Vom 21. Mai bis zum 27. Juni zeigt die Frankfurter Künstlerin Catharina Szonn ihre Ausstellung „High Noon“ im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof Regensburg. (Fotos: Catharina Szonn)

Herzlich willkommen, Catharina Szonn, zum Interview. Du betitelst die Installation im donumenta ART LAB Gleis 1 in der ehemaligen Fußgängerunterführung am Hauptbahnhof Regensburg mit „High Noon“. Was bedeutet dieser Titel im Hinblick auf Ihre Arbeit?

Dieser Titel bezieht sich nicht unbedingt auf das Duell im gleichnamigen Western, aber man hat natürlich sofort dieses „Zwölf Uhr mittags“ im Kopf. Für mich bedeutet diese Metapher: Es ist höchste Zeit, etwas zu tun. Ist es fünf vor zwölf oder bereits fünf nach zwölf?

„High Noon“ – höchste Zeit zu handeln: auch im Bezug darauf, dass schon die nächste und übernächste Generation die Welt nicht mehr so vorfinden wird wie wir. Wenn es nicht einen Turn gibt, bekommen wir aller Voraussicht nach noch ein größeres Problem. – Daher „High Noon“ als Methaper für die dystopische Interpretation, die ich in der Ausstellung zeige.  

Deine Installation zeigt, was übrig bleibt von Wirtschaftswunder und Leistungsgesellschaft. Mit einer knallbunten dystopischen Maschinerie fragst Du Dich, was wäre, wenn die Welt heute schon nicht mehr zu retten wäre. Wie wurde dieses Thema zu Deinem Thema?

Was wäre, wenn die Welt heute schon nicht mehr zu retten wäre?Das ist sicher ein griffiger Text, der am Anfang der Konzeption meiner Regensburger Ausstellung stand. – Was ist, wenn es schon zu spät ist? Was ist, wenn kein Turn mehr möglich ist?

Im Vorfeld meiner Ausstellung beim Kunstverein Konstanz vor ein paar Monaten ist mir klar geworden, dass ich mich mehr oder weniger auf die Zeit des neoliberalen Kapitalismus beziehe. Einige meiner Objekte stammen aus den 70er und 80er Jahren. Damals begann dieses: Wenn Du es in dieser Gesellschaft nicht schaffst, dann bist Du selber schuld. Das vergegenwärtigen auch diese Objekte für mich. Diese Mensch-Maschine-Thematik ist eine Metapher für den Menschen im gesellschaftlichen Gefüge. Die Maschine ist auch eine Art performende Person. Es stellt sich die Frage nach Leistung und Wachstum. – Was bleibt übrig? Was passiert mit den Maschinen, die nicht mehr gebraucht werden? Die Maschinen aus den 70er und 80er Jahren funktionieren noch sehr gut, aber repräsentieren heute auch das Analoge in der technologischen Entwicklung.

Außerdem habe ich mich für diese Ausstellung mit anderen Zukunftsthemen beschäftigt und auch das Thema Raumfahrt verfolgt, die Landung dieses Roboters auf dem Mars. Ab 2025 soll die erste Müllabfuhr im Weltall starten. Als Astronaut*in kann man sich schon jetzt bewerben und sich so an einer weiteren Erschließung des Weltraums beteiligen. Diese Expansionsgedanken stehen dann im Gegensatz dazu, dass das Weltall ja nicht als Exitstrategie herhalten soll, sonst stehen wir dort bald vor ähnlichen Problemen wie jetzt auf der Erde. – Was ich als Künstlerin mache, ist eine poetische Verhandlung darüber, wie die Zukunft, mit allen Herausforderungen die uns bereits in der Gegenwart umgeben, aussehen könnte.

Wenn wir beide miteinander reden treffen zwei Generationen aufeinander. Du bist 1987 geboren, ein paar Jahre nachdem die Grünen zum ersten Mal in den Bundestag einzogen, ich mitten im Wirtschaftswunder. Wie lautet Deine Kritik an meiner Generation?

Mir fällt es schwer zu sagen, Du bist jetzt schuld. Es wurden Fehler gemacht und falsche Entscheidungen getroffen. Entscheidend ist für mich, dass man mit dem Wissen, das man jetzt hat, keine neuen Fehler macht. Mit aktuellen Daten, die über Jahre gesammelt wurden, kann man zum Teil bessere Prognosen stellen als vor 20 Jahren, Zukunft anders gestalten. Vielleicht muss man … ich meine, wie will man zum Beispiel aus dem Kapitalismus herauskommen? – Wenn ich eine Kritik äußern würde, würde ich fragen, wo sind wir im Hinblick auf den Klassismus heutzutage. Begriffe wie Arbeit oder Arbeitsgesellschaft sind im Wandel. Welche Personen sind mit working class gemeint? Welche Identifikation findet mit einem Begriff wie Arbeiter*innenklasse statt? Wer ist da gemeint und wer ist davon ausgeschlossen? Wie gelingt gesellschaftlicher Aufstieg und für wen?

Ich versuche meine künstlerische Arbeit auf eine poetische Art offen zu halten. Ich beobachte und kommentiere, was ich wahrnehme. Ich würde mich auch primär nicht als politische Künstlerin bezeichnen, wenngleich es nicht unpolitisch ist, was ich zeige: Wirtschaftsprozesse, Produktionsprozesse etc.

Einen Teil Deines kreativen Lebens widmest Du dem Schreiben und der Kunst-Kommunikation. Du bist Mitherausgeberin der Online-Magazine AFAIR und DER TYP. Worum geht es da?

Schreiben hat sich bei mir während des Studiums entwickelt. Mit Sarah Reva Mohr habe ich dann auch zusammen mehrere Online-Zine herausgebracht, bei denen wir Text und Bild immer wieder in einen Dialog gebracht haben. AFAIR ist als Weiterentwicklung von DER TYP zu verstehen. Schreiben ist aber eine Konstante in meiner Arbeit geblieben. In meinem Notizbuch notiere ich ziemlich viel. Zwar betreibe ich keine literarische Schreibpraxis, aber ich führe ein eigenes Gedankenbuch. Das ist für mich so eine Art Sammelsurium, aus dem ich Gedanken herausnehme und ausformuliere, Texte und Konzepte entwickle. 

Wichtig im kreativen Prozess sind außerdem Screenshots. Für „High Noon“ habe ich zum Beispiel über 500 Screenshots gesammelt, von den Atombombentests der 50er bis hin zu Reifenstoppern für LKWs, die als Material dienen können. Technisch lote ich dann aus, was geht. Durch die Screenshots nimmt meine Recherche Form an. Aus diesem Kosmos schöpfe ich dann für meine Arbeit.

Du hast in diesem Jahr ein Stipendium im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop. Woran wirst Du arbeiten?

Ich hatte mich mit dem Thema „Scheitern und Versagen“ beworben. Allerdings werde ich das Thema höchstwahrscheinlich modifizieren und zum Thema Resilienz arbeiten. Auch dazu gibt es bereits einen Ordner mit Screenshots. Ich werde mich mit der Widerstandsfähigkeit und dem Durchhaltevermögen auch in „schwierigen Lebensphasen“ in Bezug auf die Mensch-Maschine-Thematik beschäftigen.

Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Julia Weigl-Wagner am 7. Mai 2021

Ist es Pflanze? Ist es Tier? – Interview mit der Künstlerin Barbara Sophie Höcherl über Budapest

Die Regensburger Künstlerin Barbara Sophie Höcherl ist gelernte Staudengärtnerin, studierte an der Westböhmischen Universität in Pilsen Illustration und Grafik und arbeitet als Förderkünstlerin in einem Atelier im Regensburger Künstlerhaus Andreas-Stadel. Mit Unterstützung des donumenta e.V. reiste sie im August 2020 als Artist in Residence nach Budapest. Im interview schildert sie wie sie die Stadt erlebt hat und welchen Akzent die ungarische Metropole auf ihre Arbeit setzte.

Barbara, Du hast zu Beginn des Jahres gesagt, es wird heiß sein im August, und ich freue mich auf die Bäder, in denen die Männer im Wasser sitzen und Schach spielen Wie war Deine Zeit in Budapest?

Es war komplett anders als ich es mir zu Beginn des Jahres vorgestellt habe. Die Ankunft in Budapest war wie erwartet sehr heiß, 37 bis 39 Grad. Die Bäder konnte ich wegen Corona nicht besuchen. Was ich ganz neu wiederentdeckt habe, war die Donau. Ich bin gleich am ersten Tag dort hin und habe ganz viel Herzlichkeit zu ihr entwickelt. Sie ist so mächtig in Budapest, so weit und so groß. Es war dieses Gefühl, beheimatet zu sein in dieser Stadt durch die Donau.

Aus Regensburg kennst Du eine ganz andere Donau. In Deiner Arbeit geht es ja oft um Gegensätze, groß – klein, weit – eng, weich – solide, fragil – stabil, zerbrechlich – belastbar. Was hat Dein Künstlerinnenherz in Budapest befeuert?

Ich war viel unterwegs, bin oft schon um fünf Uhr früh aufgestanden, bin raus und war dann für ein paar Stunden unterwegs, um zu zeichnen. Danach in der Wohnung habe ich versucht, meine Eindrücke in Arbeiten umzusetzen. Das war im Großen und Ganzen mein üblicher Tagesablauf. Ich habe für meine künstlerische Arbeit auch neue Materialien entdeckt wie z.B. Mehl, Zucker, Salz, Sand, Erde oder Seife und habe einige der daraus entstandenen Arbeiten aus Budapest auch mitnehmen können. Was mich an diesem für mich neuem Herstellungsprozess besonders interessiert hat, ist die Tatsache, dass man die aus eigenständig hergestelltem Material entstandenen Objekte nicht mehr klar zuordnen kann. Ist es jetzt von Menschenhand gemacht? Ist es eine Pflanze, ein Tier? Was steckt hinter dem Produkt, das man vor sich hat? Man ist ständig ein bisschen verwirrt und wird visuell herausgefordert. Die Einordnung bzw. Verortung und Interpretation des visuellen Eindrucks muss der Betrachter selbst vornehmen.

Budapest ist in meinen Augen eine sehr kontrastreiche Stadt. Groß-laut-schön und alles bisschen „überdimensioniert“. Es ist super heiß. Es riecht nach Chlor. Budapest ist eine sehr touristische Stadt, was man beispielsweise daran erkennt, dass alles perfekt sauber ist und mit dem Dampfstrahler gereinigt wird. Man sieht sehr viele städtische Gärtner, alles ist ganz penibel angelegt und akkurat, fast ein wenig künstlich. Man muss schon ein wenig suchen um Natürlichkeit zu finden.

Was für Arbeiten sind dann noch entstanden?

Hauptsächlich Objekte, die ich dann z.B. in gefundenen Dingen oder Pflanzen präsentiert, im öffentlichen Raum installiert und anschließend fotografiert habe. Sozusagen als eigene kleine Ausstellung in einem neuen Format. Ich habe meine Arbeiten zum Beispiel auch mit Salzteig oder anderen Substanzen angereichert und direkt vor Ort gebaut, fotografiert und dann wieder abgebaut. Es waren Momentaufnahmen, kleine Installationen, draußen in den Parks.

Hast du Kontakt gefunden zu Künstlerinnen und Künstlern dort?

Es war August und einige Galerien hatten Sommerpause, einige Museen hatten aufgrund von Covid-19 ebenfalls geschlossen. Darum habe ich mich dann eher auf meine eigene Arbeit konzentriert.

Was einen Artist in Residence-Aufenthalt ausmacht ist ja, dass man dort einfach alleine ist und im Endeffekt auf sich selbst angewiesen. Ich habe versucht das positiv zu sehen, meine eigene Stärke und einen Rhythmus zu finden, und versucht mich immer wieder von Neuem zu motivieren.

Ich frage mich sowieso oft: Sind meine Arbeiten gut? Wird das was? Was mach ich da eigentlich? Panik, Panik, aber dann setze ich mich hin und arbeite und finde meinen Weg.

Wo zieht es Dich als nächstes hin?

Gerade bin ich wieder so am Ankommen. Ich koordiniere gerade einen Kulturrundgang in meinem Heimatort Falkenstein. Da bespiele ich mit Künstlern aus Regensburg und Umgebung Leerstände in alten Gebäuden, die abgerissen werden. Die Räumlichkeiten sind für Besucher unzugänglich und die Kunst nur durch Schaufenster sichtbar. Die Idee Kunst hinter Glas zu präsentieren ist im Lockdown entstanden. Es geht dabei um Arbeiten, die dem Alten huldigen und den teilweise sehr heruntergekommenen Leerständen sozusagen noch einmal die letzte Ehre erweisen. Ein schöner Kontrast zur zeitgenössischen Kunst. Das Projekt startet am 27. September, danach geht es gleich weiter mit Ausstellungen in Regensburg und Landshut.

Danke für dieses Gespräch, Barbara.

Das Gespräch führte Julia Weigl-Wagner für den donumenta e.V. am 09. September 2020.

Kunst schaut hin – Interview mit Christian Schnurer

Der Münchner Künstler Christian Schnurer (geb. 1971 in Schwandorf) ist bekannt für seine Arbeiten im öffentlichen Raum. Seine Installationen und Interventionen sind gesellschaftpolitisch motiviert. Um Krieg, Flucht, menschenverachtende oder die Freiheit missachtende Politik zu kommentieren. Diese Interview führte ich anlässlich seiner Video-Installation und Skulpturen aus Hunderten von Rettungswesten im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof in Regensburg und im Bahnhofsumfeld. „Salva Vida – HOTSPOT“ läuft vom 18. September bis zum 18. Oktober, mittwochs bis sonntags 14 bis 19 Uhr.

Welches Ereignis war für Sie als Künstler ausschlaggebend, sich mit dem Thema Migration und Seenotrettung zu beschäftigen?

2004 gab es eine Seenotrettung, die mich sehr beschäftigt hat. Das war als die Cap Anamur II 37 Geflüchtete rettete und der Kapitän in die Fänge der italienischen Staatsanwaltschaft geriet, weil er ohne Erlaubnis in einen sizilianischen Hafen einfuhr. Seitdem ist das Thema in meinem Fokus und ich habe grundsätzlich über die Außengrenzen Europas nachgedacht. 2010 war die erste große internationale Arbeit dazu entstanden. Mit dem Amphibienfahrzeug „Mathilda“ fuhr ich 2010 anlässlich der Kulturhauptstadt Istanbul von München an den Bosporus.

Es hat tatsächlich lange gedauert, eine künstlerische Antwort auf das Thema Grenzen Europas und Seenotrettung zu finden, weil es so schwierig ist, damit umzugehen, so unmöglich, so tragisch. Es ist nichts, was zu Ende geht, es ist immer bitter und man kann keinen Humor hineinlagen. Das ist bis heute schwierig.

Der Münchner Künstler Christian Schnurer: Die Schwimmweste ist zur Ikone für die Rettung von Geflüchteten geworden.
(Foto: Bodo Mertoglu)

Mit Ihrem Projekt „Salva Vida“ kooperieren Sie mit der Gemeinde Lesbos. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?

Die Kooperation besteht aus der Überlassung von 4.000 Schwimmwesten. Anfang 2016 wollten wir Schwimmwesten für Installationen im öffentlichen Raum, um die Willkommenskultur aufrecht zu erhalten in einer Situation, die schon am Kippen war.

Der Kontakt kam zustande, als wir Hilfsgüter nach Lesbos transportiert haben, hauptsächlich Kleidung. In dem Moment war die Situation relativ durchlässig, ein hoffnungsvoller Moment.

Auf Lesbos lagerten damals auf einer auf Müllhalde ungefähr eine Million Schwimmwesten, jede einmal gebraucht. Dieses Bild ging mir nicht aus dem Kopf. Ich wollte mit diesen Schwimmwesten arbeiten, fragte, ob ich 4.000 dieser Westen haben könnte und kam schließlich mit einem Empfehlungsschreiben der Stadt München.

Für die Gemeinde Lesbos war das auf der anderen Seite eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit in Zentraleuropa auf diese Situation aufmerksam zu erhalten. So kam dieser Vertrag zustande. Warum er überhaupt geschlossen werden musste? – Die Schwimmweste war zum Archetypen, zur Ikone für die Rettung von Geflüchteten geworden. Schwimmwesten waren begehrt. Damals waren sehr viele dran um damit zu arbeiten; Künstler, Theater, Upcycling Projekte, Hilfsorganisationen, etc..

Was kann Kunst in diesem Zusammenhang bewegen?

Kunst hat schon immer versucht, ihre Stimme  gegen Krieg und Ungerechtigkeit zu erheben. Der Versuch die Welt zu retten ist meistens gescheitert. Als Künstler konnten wir keinen einzigen Krieg und kein Leid verhindern. Auf der anderen Seite ist die Kunst ein Weg, die Öffentlichkeit zu zwingen, die Augen dorthin zu richten. – Den Fernseher kann man ausschalten, aber einer Aktion im Öffentlichen Raum kann man sich niemand entziehen. Das  löst Emotionen aus, positive wie negative, gute Diskussionen oder tätliche Angriffe gegen die Kunst – auch das muss man aushalten.

Wie sehen Sie die Situation im Hotspot Camp Moria auf Lesbos heute im Vergleich zu damals vor fünf Jahren?

Wir haben das Thema nicht mehr so wie damals täglich in den Nachrichten. Auf der anderen Seite haben wir in Moria auf Lesbos heute einen Hotspot, der auf 3.000 Menschen ausgelegt ist und in dem 20.000 Flüchtlinge leben. Die Zustände sind schlimmer als etwa in Jordanien, in der Türkei oder der Ukraine. Unsere Politik hat 2015 als Deutschland und Österreich die Grenzen öffneten ein freundliches Gesicht gezeigt. Heute zeigen wir eine hässliche Fratze. – Deutschland das Traumziel und Europa die Hoffnung für viele.

Wir leben eine bigotte Leitkultur, weil wir uns auf humanistische Werte berufen, die wir gleichzeitig missachten. 

Die Installation „Salva Vida – HOTSPOT“ im Donumenta ART LAB Gleis 1 wird sich sehr stark medial zeigen: Fotomaterial. Rauminstallationen aus Schwimmwesten, Filmaufnahmen. Wird der Raum wirken?

Zum ersten Jahrestag der 1. Jahrestag der Grenzöffnung zu Ungarn war die Aktion „Sommergrüße vom Wolfgangsee“ ein Anschlag auf dieses deutsch-östereichische Wirtschaftswunderidyll mit der schwimmenden Insel aus 800 Schwimmwesten vor dem „Weissen Rössl“. Wir zeigen diese Aktion als Videoprojektion in einer morbiden Raumsituation unter den Bahngleisen jetzt zum 5. Jahrestag dieser historischen Entscheidung.

Wie hat sich die Wahrnehmung Ihres Projekts verändert?

Jetzt ist ein guter Moment, um das ganze Projekt etwas neutraler und mit Abstand zu sehen und die einzelne Stationen in ihrem Verlauf aufzublättern und neu zu bewerten.

Meine Installation „Platz der Leitkultur“ von 2017 wird neu inszeniert im Umfeld des Regensburger Bahnhofs. Andere Aktionen werden als Fotodokumente gezeigt oder in Dokumentationsvideos des Filmemachers Lorenz Kloska. Ich bin gespannt, ob die Empfindlichkeit des Publikums immer noch da ist, oder ob die Gewöhnung alle weiteren Reaktionen abgestumpft hat.

Danke für das Interview Christian Schnurer.

Foto: „Platz der Leitkultur“, Installation aus Rettungswesten. (Julia Weigl-Wagner).

Wörter im öffentlichen Raum – Interview mit Dušan Zahoranský

Dušan Zahoranský (geb. 1972) war 2019 vier Wochen lang Artist in Residence der donumenta. Er studierte in Bratislava und Nottingham, lebt und arbeitet in Prag, lehrt an der dortigen Kunstakademie und gehört zu den bedeutendsten Künstlern Tschechiens. Zahoranský ist ein Meister der Typografie im öffentlichen Raum. „Wörter in einer öffentlichen demokratischen Umgebung fördern die Diskussion“, sagt er. Ab 3. September werden die Eiserne Brücke in Regensburg in MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE und der Lände nördlich des Museums der Bayerischen Geschichte (Marc-Aurel-Ufer) in ALAN & GHALIB KURDI HAFEN umbenannt. Die symbolische Umbenennung erfolgt zeitlich befristet bis Anfang Dezember. Dušan Zahoranský nennt sein Werk SEARCH AND RESCUE.

Was war Dein erster Eindruck von Regensburg?

Die Eiserne Brücke in Regensburg wird MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE (Fotomontage Dušan Zahoranský)

Regensburg ist sowohl eine historisch sehr bedeutende als auch moderne und wachsende Stadt. Außer der Rolle Regensburgs für die Tschechische Chrisitianisierung im 9. Jahrhundert oder seine wirtschaftliche und politische Bedeutung im 12. Jahrhundert war ich von den neuen Wohnsiedlungen beeindruckt. Ich hatte das Gefühl, dass der Stadtplanung in der Stadtverwaltung kein geringer Stellenwert beigemessen wird. Die Stadt gründet auf einem tiefen kulturellen und historischem Fundament. Neue Straßen und Gebäude, zum Beispiel östlich des Hauptbahnhofs, zeigen gute menschliche Proportionen. Es scheint mir eine gute Architektur für zukünftige Bewohner zu sein. Auf der anderen Seite war ich überrascht vom Fehlen öffentlicher Kunst in der Stadt. Außer historischen Denkmälern, die Regensburger Bischöfen gewidmet sind, gibt es wenige sensibel platzierte, ehrliche Kunstwerke (Westheim) und fast keinen „symbolischen“ Schwerpunkt.

Dušan Zahoranský lehrt an der Kunstakademie in Prag.

Aus meiner Perspektive ist nur Dani Karavans Bodenrelief der frühreren Synagoge gut durchdacht und präzise umgesetzt. Das Denkmal fungiert sowohl als aktuelles Symbol als auch als spontaner Treffpunkt.

Wie kamst Du auf die Verbindung Regensburgs mit der Seenotrettungsinitiative Michael Buschheuers?

Wir diskutierten mit Regina Hellwig Schmid and Hans Simon-Pelanda über unsere Pläne. Ich fand es interessant, einen Kontrapunkt zur starken Konzentration auf „historische“ Figuren und Themen zu setzen. Ich hatte das Gefühl, dass es in der Öffentlichkeit an Geschichten und Persönlichkeiten mangelt, die die heutige Lebenswelt und das heutige Denken prägen. Wir sprachen über Carola Rackete und eine ähnlich mutige Frau. Sie setzen ihr Leben und ihre Energie für die Menschlichkeit ein und retten Leben unter sehr problematischen Bedingungen.

Regina und Hans erzählten mir, dass Michael Buschheuer die Seenotrettungs-Initiative Sea-Eye gründete und dass Carola möglicherweise auch vor Jahren in Regensburg aktiv war. Später fand ich Informationen in lokalen Zeitungen und im Internet. Ich habe mich intensiver mit der Problematik beschäftigt und mehr über Einwanderung und den Zusammenhang mit den Konflikten in Afrika und im Nahen Osten herausgefunden. Die Staaten in Europa und andere Supermächte haben eigene Interessen in diesen Krisenregionen.

Die Initiative von Michael Buschheuer zeigt, dass er und seine Aktivisten sich dieser geopolitischen Widersprüche zwar bewusst sind, es aber am Ende am wichtigsten ist, jedes einzelne menschliche Leben zu schützen und zu respektieren.

Wie steht das Thema Seenotrettung im Zusammenhang mit der Geschichte der UNESCO Weltkulturerbestadt und dem Motto des donumenta Artist in Residence-Programms “Heritage Today/Tomorrow”?

Die Initiative der donumenta ist für mich ein Medium, interessante, mitunter problematische Themen an die Öffentlichkeit zu bringen. Was sie im öffentlichen Raum umsetzt, ist sehr lobenswert. Ich bin sicher, dass die Strategie, die der donumenta e.V. bereits in den vergangenen Jahren verfolgte, sowohl Bürgerinnen und Bürgern, Touristen als auch Künstlerinnen und Künstlern selbst Perspektiven bieten kann.

Es war interessant, sich in den historischen Kontext der Stadt hineinzufinden, vom Mittelalter über das Zeitalter des Protestantismus bis hin zum Zweiten Weltkrieg und das 20. Jahrhundert. Ich hoffe, dass meine öffentliche Kunstintervention – wenn auch zeitlich befristet – einen neuen Akzent in die Stadt bringt. Für einige Zeit wird meine Arbeit die Aufmerksamkeit auf ein Phänomen ziehen, das eng mit der Stadt verbunden ist und sich für das menschliche Wohlergehen engagiert.

Du hast einmal gesagt: „Wörter in einer öffentlichen, demokratischen Umgebung regen zur Diskussion an “. Wie funktioniert das im Zusammenhang mit der MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE und dem ALAN & GHALIB KURDI HAFEN?

Hier möchte ich Bernard Darras zitieren, mit seiner präzisen Definition von Demokratisierung:

Historisch, ideologisch und politisch hat sich das Konzept der Demokratie gegen alle anderen Formen von Autorität und Regierung entwickelt, bei denen Menschen einer bestimmenden Rolle beraubt werden. Beispiele hierfür sind Theokratien, Aristokratien und Diktaturen. Daher erfordert jeder als Demokratisierung bezeichnete Prozess, dass die gesamte Bevölkerung in die Bewältigung des Phänomens ‚Demokratisierung’ involviert, befragt und einbezogen wird.“  
(Bernard Darras:  Values of Arts and Cultural Education, in: van Heusden, Barend / Gielen, Pascal (Hg.): Arts Education Beyond Art / Teaching Art in Times of Change, Valiz 2015, Seite 60)

Ich hoffe, dass unsere vorübergehende Aneignung der Namen der Eiserne Brücke und des Marc-Aurel-Ufers die Aufmerksamkeit der Passanten auf noch ungelöste Probleme lenken wird, aber mit der Betonung auf die Entwicklung ihrer persönlichen Stärke. – Diese Haltung habe ich zufällig in der Michael-Buschheuer-Initiative in Regensburg in einer sehr konkreten Form gefunden. Ich respektiere sie sehr. Vielen Dank für Unterstützung und Vertrauen.

Das Interview mit Dušan Zahoranský führte ich für den donumenta e.V. ursprünglich auf englisch.

19.08.2020/JW2

Namen sollen Menschen bewegen – Interview mit Tima Kurdi

Ab 3. September 2020 wird es in Regensburg für drei Monate einen ALAN & GHALIB KURDI HAFEN und eine MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE geben. Die Namen stehen für menschliche Not und Hilfe. Sie sind Teil der Arbeit “SEARCH & RESCUE” des tschechischen Künstlers Dušan Zahoranský, Artist in Residence des donumenta e.V. 2019 – Tima Kurdi, die Tante von Alan und Ghalib Kurdi, wird anlässlich der Enthüllung am 3. September sprechen.  Alan Kurdi ist der tote Jungen am Strand, dessen Bild Anfang September 2015 um die Welt ging. Der Zweijährige wurde zur Ikone für das humanitäre Not von Flüchtlingen. Auch Alans Bruder Ghalib und Mutter Rehanna überlebten die Flucht zum Vater, der bereits in die Türkei geflohen war, nicht. Für Tima Kurdi, die heute in Kanada lebt, war das Schicksal ihrer eigenen Familie der Auslöser, sich für die Rechte von Flüchtlingen zu engagieren.

Tima Kurdi, Sie sind in Damaskus geboren und leben seit fast 30 Jahren in Kanada. Nachdem der Krieg in Syrien 2011 ausbrach, wollten Sie Ihre dort lebenden Familienmitglieder nach Kanada holen. Was haben Sie unternommen?

Als in Syrien der Krieg ausbrach, floh meine Familie wie Tausende andere in die Türkei. Die Familie meines Bruders Abdullah war aus Kobani geflohen, um zu ihm nach Istanbul zu gelangen. Es waren herzzerreißende Zustände. Und als ich sie 2014 besuchte, sah ich mit meinen eigenen Augen wie ihre Situation war, wie sie darum kämpften in diesem neuen Land zu leben, besonders die Kinder. Ich sah, dass meine Nichte und meine Neffen gezwungen wurden zu arbeiten, statt zur Schule zu gehen.

Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien flehten meine Leute um Hilfe, doch niemand reagierte. Ich tat, was ich konnte, um meine Familie zu unterstützen, schickte Geld und versuchte sie nach Canada zu holen, aber Canadas Grenzen blieben geschlossen, unser System versagte.

Als Ihre beiden Neffen Alan und Ghalib auf der Flucht aus Syrien nach Europa starben, waren sie zwei und vier Jahre alt. Was veranlasste Sie trotz des Schmerzes, den Sie erfahren haben, sich jetzt erst recht und über die eigene Familie hinaus für die Rechte von Flüchtlingen zu engagieren?

Viele Monate lang hatte ich um ihre Einreise gekämpft und erledigte die Formalitäten, bis ich an jenem 2. September 2015 die tragische Nachricht hörte, dass meine Schwägerin Rehanna und meine beiden Neffen Alan und Ghalib Kurdi ertrunken waren. Ich werde diesen 2. September nie vergessen. Ich wachte auf, hörte diese Nachricht und sah das Bild meines Neffen Alan am Strand. Ich schrie so laut ich konnte. Ich wollte, dass die Welt mich hörte. Dann traf ich diese Entscheidung. Ich sagte mir: Wenn ich meine eigene Familie nicht retten kann, dann will ich andere retten.

Ihre Reden sind sehr persönliche Statements. Sie erreichen dadurch viele Menschen. Was erwarten Sie sich von der europäischen und deutschen Flüchtlingspolitik?

Ich hoffe, dass die europäischen Länder und Deutschland Flüchtlinge weiterhin willkommen heißen und ihnen ihre Grenze öffnen, denn sie fliehen, weil sie dazu gezwungen werden und ihnen keine andere Wahl bleibt. Ferner hoffe ich, dass die internationale Gemeinschaft zusammenkommt, um eine friedliche Lösung zu finden, Krieg und Armut überall zu beenden. Dann wird es keine Flüchtlinge mehr geben. Bis dahin müssen wir den leidenden Menschen helfen, ihr Leben – wie alle anderen – in Frieden leben zu können.

Der donumenta e.V., ein Kunstverein in Regensburg gedenkt des Schicksals Ihrer Familie mit der temporären Umbenennung eines Uferabschnitts an der Donau in ALAN & GHALIB Kurdi Hafen. Wie wirkt das auf Sie?

Worte können mein Gefühl nicht beschreiben. Es berührt mich sehr und ist gleichzeitig schmerzhaft. Ich möchte, dass die Namen Alan und Ghalib Kurdi eine dauerhafte Erinnerung in Herz und Verstand der Menschen sind und ich hoffe, dass sie niemals das Bild des Jungen am Strand vergessen. Ich hoffe, dass die Namen Menschen dazu bewegen können, aufzustehen und ihre Stimme zu erheben, um anderen in Not zu helfen.

Danke für das Interview, Tima Kurdi.

Das Interview führte Julia Weigl-Wagner am 24. August 2020 für den donumenta e.V. in englisch

Wenn Zoom beim Entwerfen hilft – Interview mit Theresa Bösl vom Corona Design Lab

Was Studierende im Corona Design Lab entwickelt haben, ist vom 21. August bis zum 6. September 2020 im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof in Regensburg zu sehen. Im Interview erzählt mir Theresa Bösl wie es dazu kam und was sie am meisten fasziniert. Sie studiert im 4. Semester Architektur.

Theresa Bösl ist eine der Studierenden aus dem Seminar „Corona Art Lab“ der OTH Regensburg (Zeichnung: Theresa Bösl)

Theresa, Ihr habt das Corona Design Lab an der OTH relativ früh eingerichtet und das Thema als eines erkannt, das für Euch relevant ist. Was war da entscheidend?

Theresa Bösl: Wir haben uns per Zoom getroffen und das war schon mal eine Ausnahmesituation. Wir haben darüber diskutiert, wie es jedem geht gerade vor dem Hintergrund der Pandemie. Viele waren zuhause bei ihren Familien, schon allein deshalb, weil sie dort mehr Platz hatten als in der Studentenwohnung. Da kamen wir dann ganz schnell auf das Thema Raum. Wir erkannten es als ziemlich bedeutsam für uns, weil wir ja als angehende Architekten Räume entwerfen, ziemlich tief drin stecken in der ganzen Thematik und auch etwas machen können. Dann haben wir angefangen, Lösungen zu finden.  

Was ist Dein Lieblingsentwurf, wenn Du Dir jetzt Eure Lösungen vergegenwärtigst?

Theresa Bösl: Das Coronoskop. Interessant finde ich, wie es entstanden ist. Die Idee kam quasi bei einer Zoom-Diskussion. Man sieht von jedem dieses kleine Video. Da hatte eine Kommilitonin die Idee, Spiegel so zusammenzusetzen, dass man aus einem Blickwinkel immer mehrere Personen sieht. Die Idee mit den Spiegeln hängt eng mit der Anmutung der Zoom-Videos zusammen. Auch wie wir es umgesetzt haben, finde ich mega-spannend. Jetzt sieht das so lässig aus, aber wieviel Physik da drin steckt und wieviel Poesie …

Das Corona Art Lab war zwar ein Seminar, aber doch eine ganz besondere Erfahrung in Eurem Studium. Wird es Euch als Gruppe weitergeben?

Theresa Bösl: Wir haben verschiedene Ausstellungen geplant, weil wir unsere Gedankengänge auch weiterbringen wollen. Auch in den Sozialen Medien finden wir Zuspruch. Das schweißt uns tatsächlich zusammen und wir stehen immer wieder im Austausch miteinander. Wir haben eine kleine WhatsApp Gruppe und wenn wir irgendwas sehen, was irgendwo auf der Welt angeboten wird, diskutieren wieder drüber.

Gibt es an anderen Architektur-Hochschulen ähnliche Projekte?

Theresa Bösl: Das ist eine gute Frage. Als wir im April gestartet sind, sollten wir Lösungen finden, die es schon gibt. Außer zwei drei Lösungen haben wir nichts gefunden. Dann haben wir entworfen und unsere Designs auf Instagram präsentiert. Dann hieß es, dass das ziemlich gut ist. Natürlich haben wir auch Lösungen, die es schon gab – wie zum Beispiel den Tür-Haken – transformiert. Unsere Dozenten sagen immer: Auch in der Architektur gibt es nicht Neues. Es gibt schon alles. Wir müssen es nur verbessern oder neu zusammensetzen.

Danke Theresa, für diesen interessanten Einblick in Eure Arbeit.

Foro: Kommunikation auf Abstand – das Coronophone (Corona Design Lab, OTH Regensburg)

Material, Raum und Geschichte – Interview mit Luiza Margan

Warum sie sich für ein Bauwerk des Brutalismus interessiert, hat mir Luiza Margan, Künstlerin aus Kroatien, in einem Interview erklärt. Sie hat sich mit dem Wirsing-Turm am Regensburger Ernst-Reuter-Platz beschäftigt, der vor wenigen Monaten abgerissen wurde und den öffentlichen Raum zwischen Bahnhof und Altstadt definierte. – Die Ausstellung „Geliebtes Monster / Beloved Monster“ ist vom 10. Juli bis zum 16. August jeweils mittwochs bis sonntags von 14 bis 19 Uhr im donumenta ART LAB Gleis 1 am Regensburger Hauptbahnhof zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Wie kommt es, dass Du Dich mit dem Wirsing-Turm beschäftigst?

L.M.: Als ich zum ersten Mal in Regensburg war und mich mit dem donumenta ART LAB Gleis 1 vertraut machte, überraschte mich dieses Gebäude sehr – seine markante Gestalt und Gegenwart. Auch von der Höhe her unterschied es sich von den historischen Gebäuden im Zentrum der Stadt, obwohl man deutlich sehen konnte, dass es selbst eine kraftvolle Geschichte hat.

Hans Simon-Pelanda von der donumenta erzählte mir diese Geschichte und davon, wie der Plan, es abzureißen zahlreiche Bürger*innen mobilisierte, sich für den Erhalt dieses architektonisch herausragenden Bauwerks zu engagieren und es einer neuen Nutzung zuzuführen.

Woher kommt Dein Interesse für Architektur?

L.M.: In meiner Arbeit untersuche ich die Beziehung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum. Ich frage mich wie der öffentliche Raum und kulturelle Identitäten durch historische Narrative und ideologische Überhöhungen entstehen.

Architektur und Stadtplanung, Denkmäler und Straßennamen sowie Bürgerinitiativen für den Erhalt von öffentlichen Räumen spielen hier eine bedeutende Rolle.

Als Gesellschaft entscheiden wir darüber, was stehen bleibt und was zerstört wird. Es stellt sich die Frage, welche Werte damit verbunden sind. Die Entscheidung, diesen Turm abzureißen, begleiten Konflikte. Für mich ist diese Spannung interessant: Stehen lassen oder abreißen? Diese Spannung gestaltet den öffentlichen Raum und um diese Spannung geht es in meiner Arbeit. Ich persönlich bevorzuge eher eine „grünere“ Haltung und den Erhalt wertvoller Architektur der Vergangenheit in neuer zeitgemäßer Nutzung. Dadurch entsteht eine reiche und lebendige Stadtlandschaft.

Hat das etwas mit Deiner Biografie zu tun?

L.M.: Ich wuchs auf im Prozess der Auflösung Jugoslawiens und der sich im Anschluss formierenden nationalen Identitäten. Diese Verwandlung ist ein stetiger Prozess, der im öffentlichen Raum gut beobachtet werden kann. Sogar Beispiele weltweit anerkannter Architektur und Monumente der jugoslawischen Epoche werden nicht wahrgenommen oder zerstört, Denkmäler des antifaschistischen Kampfes und Straßennamen ausradiert. Der Kapitalismus eignet sich den öffentlichen Raum an und viele Bürger- und Kulturinitiativen stellen sich dagegen.

Du setzt „Geliebtes Monster“ mit Metall- und Beton-Teilen um? Wie arbeitest Du mit diesen schwer zu bewegenden Materialien?

L.M.: Es ist mir wichtig, dass ich diese Materialien selbst bewegen kann. Alle Betonteile in der Ausstellung sind zwar schwer, aber ich kann sie noch selbst bewegen. Bei den größeren Bauteilen arbeite ich mit Helfern. Meine Idee ist es, die Materialien auf eine Art zu arrangieren, die ihre Geschichte zeigt und gleichzeitig eine neue Räumlichkeit entstehen lässt.


Danke für das Gespräch, Luiza.

Foto: donumenta / Regina Hellwig-Schmid.