#WeRemember #donumenta #NikitaKadan #Regensburg – The Inhabitants of Collosseum

Soziale Skulptur und Performance der Erinnerung des ukrainischen Künstlers Nikita Kadan für Regensburg.

Im Gasthaus „Colosseum“ in Stadtamhof befand sich am Ende des 2. Weltkrieges ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg. Unter Bewachung wurden von dort aus täglich 400 Häftlinge zur Arbeit an den Gleisanlagen geführt, um Schäden von Fliegerangriffen zu reparieren. Die Männer aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn oder Frankreich wurden im Tanzsaal des Gasthauses untergebracht. In den fünf Wochen des Bestehens dieses Lagers starben über zehn Prozent. Täglich trieb Wachpersonal, darunter Wärter aus der Ukraine, die Inhaftierten über die Steinerne Brücke durch die Altstadt zu ihren Arbeitsstätten. Nikita Kadan verwandelte dieses Ereignis in eine soziale Skulptur. Am 27. Juli 2018 folgten 400 Menschen dem Weg der Gefangenen von damals in groben Holzpantinen schweigend über die Steinerne Brücke. Man hört nur das Klappern der Schuhe. Kadan über sein Werk: „In Holzschuhen, wie sie die Inhaftierten trugen, werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser interaktiven Performance selbst zu einem Teil ihrer Geschichte.

Nikita Kadan war Artist in Residence der donumenta 2018 und Künstler der Biennale in Venedig 2015. 

Zum Video

Eine Seifenblase aus Eiskristallen – bitte nachmachen

Zu nachhaltiger Freude am kürzesten Tag des Jahres 2020 inspiriert mich dieses kleine Video, das mich vor wenigen Tagen erreichte. Es dauerte bis ich nach diversen Youtube-Suchläufen die Autorin fand. Rosemary Danielis postete nicht nur dieses poetisch überraschende Video, sondern das Rezept gleich dazu. Die Seifenblase, die sich bei Minusgraden so herrlich schneekristallig verwandelt, besteht aus Maissirup, Spülmittel und Wasser.

Nachahmer herzlich wilkommen,

  • weil diese Seifenblase aus Eiskristallen so unglaublich schön ist
  • weil die Natur eine große Künstlerin ist
  • weil das Plagiat der Ursprung jeglicher Kreativität ist – frei nach Pete Seeger, der überzeugt davon war: „Plagiarism is basic to all culture.“

Frohe Weihnachten!

Auf Youtube zeigt Rosemary Danielis nicht nur dieses zauberhafte Video, sondern erklärt auch wie es geht.

„Der Junge am Strand“ – Regensburgerinnen und Regensburger lesen

19 Regensburgerinnen und Regensburger mit und ohne Migrationshintergrund lesen am 10. Dezember 2020, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, aus Tima Kurdis Buch „Der Junge am Strand – Geschichte einer Familie auf der Flucht“. Als Video-Botschaften erscheinen zwischen dem Tag der Menschenrechte und dem neuen Jahr Teile der 10-Stunden-Lesung auf Facebook.

Hoffnung auf eine sichere Zukunft

Es war die Idee der Künstlerin, Feministin und Menschenrechtlerin Regina Hellwig-Schmid, die ergreifende Geschichte der Familie Kurdi auf der Flucht vor dem syrischen Bürgerkrieg mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Viele erinnern sich an das Foto des kleinen Jungen, der tot am Strand an der türkischen Küste lag. Sein Name war Alan Kurdi. Sein Schicksal und das seiner Familie stehen für die vielen Menschen, deren Fluchtversuche tödlich endeten. Zu viert war die Familie in der Hoffnung auf eine sichere Zukunft nach Europa aufgebrochen, einer überlebte. Vater Abdullah Kurdi verlor seine Frau Rehanna und seine Söhne Ghalib und Alan.

Tima Kurdi hat in ihrem Buch die Geschichte ihrer Familie zusammengefasst. Sie wurde in Damaskus geboren und wanderte 1992 nach Kanada aus. Sie hielt engen Kontakt mit den in Syrien zurückgebliebenen Familienmitgliedern und engagierte sich für ihre Flucht und ein besseres Leben.

Menschen mit und ohne Migrationshintergrund lesen

Vom iranischen Schüler bis zur Oberbürgermeisterin lesen 18 Regensburgerinnen und Regensburger mit und ohne Migrationshintergrund Tima Kurdis Text. Die Lesung findet zwischen im Atelier am Wiedfang 5 statt und wird per Video aufgezeichnet. Zwischen dem Tag der Menschenrechte (10. Dezember) und Weihnachten veröffentlicht der Kunst-Knoten e.V. täglich einen anderen kürzeren Ausschnitt aus der Lesung auf Facebook. 

Nach einer Video-Botschaft von Tima Kurdi lesen: Regina Hellwig-Schmid, Stella Fink, Traudl Lacher-Jödicke, Angelina Kreupl, Ngo Thi Vananh, Mai Hamza, Daniel Gaittet, Gertrud Maltz-Schwarzfischer, Hans Siomon-Pelanda, Monika Reinecker, Patrizia Schmid-Fellerer, Julia Weigl-Wagner Michael Buschheuer, Michael Bothner, Viktoria Schatara, Matin Ramezani, Ralph Götting, David Löw, Kertin Radler (Lesereihenfolge)

Mein Beitrag zur Lesung anlässlich des Tags der Menschenrechte 2020.

(Kommunikationsstrategie Julia Weigl-Wagner)

Ist es Pflanze? Ist es Tier? – Interview mit der Künstlerin Barbara Sophie Höcherl über Budapest

Die Regensburger Künstlerin Barbara Sophie Höcherl ist gelernte Staudengärtnerin, studierte an der Westböhmischen Universität in Pilsen Illustration und Grafik und arbeitet als Förderkünstlerin in einem Atelier im Regensburger Künstlerhaus Andreas-Stadel. Mit Unterstützung des donumenta e.V. reiste sie im August 2020 als Artist in Residence nach Budapest. Im interview schildert sie wie sie die Stadt erlebt hat und welchen Akzent die ungarische Metropole auf ihre Arbeit setzte.

Barbara, Du hast zu Beginn des Jahres gesagt, es wird heiß sein im August, und ich freue mich auf die Bäder, in denen die Männer im Wasser sitzen und Schach spielen Wie war Deine Zeit in Budapest?

Es war komplett anders als ich es mir zu Beginn des Jahres vorgestellt habe. Die Ankunft in Budapest war wie erwartet sehr heiß, 37 bis 39 Grad. Die Bäder konnte ich wegen Corona nicht besuchen. Was ich ganz neu wiederentdeckt habe, war die Donau. Ich bin gleich am ersten Tag dort hin und habe ganz viel Herzlichkeit zu ihr entwickelt. Sie ist so mächtig in Budapest, so weit und so groß. Es war dieses Gefühl, beheimatet zu sein in dieser Stadt durch die Donau.

Aus Regensburg kennst Du eine ganz andere Donau. In Deiner Arbeit geht es ja oft um Gegensätze, groß – klein, weit – eng, weich – solide, fragil – stabil, zerbrechlich – belastbar. Was hat Dein Künstlerinnenherz in Budapest befeuert?

Ich war viel unterwegs, bin oft schon um fünf Uhr früh aufgestanden, bin raus und war dann für ein paar Stunden unterwegs, um zu zeichnen. Danach in der Wohnung habe ich versucht, meine Eindrücke in Arbeiten umzusetzen. Das war im Großen und Ganzen mein üblicher Tagesablauf. Ich habe für meine künstlerische Arbeit auch neue Materialien entdeckt wie z.B. Mehl, Zucker, Salz, Sand, Erde oder Seife und habe einige der daraus entstandenen Arbeiten aus Budapest auch mitnehmen können. Was mich an diesem für mich neuem Herstellungsprozess besonders interessiert hat, ist die Tatsache, dass man die aus eigenständig hergestelltem Material entstandenen Objekte nicht mehr klar zuordnen kann. Ist es jetzt von Menschenhand gemacht? Ist es eine Pflanze, ein Tier? Was steckt hinter dem Produkt, das man vor sich hat? Man ist ständig ein bisschen verwirrt und wird visuell herausgefordert. Die Einordnung bzw. Verortung und Interpretation des visuellen Eindrucks muss der Betrachter selbst vornehmen.

Budapest ist in meinen Augen eine sehr kontrastreiche Stadt. Groß-laut-schön und alles bisschen „überdimensioniert“. Es ist super heiß. Es riecht nach Chlor. Budapest ist eine sehr touristische Stadt, was man beispielsweise daran erkennt, dass alles perfekt sauber ist und mit dem Dampfstrahler gereinigt wird. Man sieht sehr viele städtische Gärtner, alles ist ganz penibel angelegt und akkurat, fast ein wenig künstlich. Man muss schon ein wenig suchen um Natürlichkeit zu finden.

Was für Arbeiten sind dann noch entstanden?

Hauptsächlich Objekte, die ich dann z.B. in gefundenen Dingen oder Pflanzen präsentiert, im öffentlichen Raum installiert und anschließend fotografiert habe. Sozusagen als eigene kleine Ausstellung in einem neuen Format. Ich habe meine Arbeiten zum Beispiel auch mit Salzteig oder anderen Substanzen angereichert und direkt vor Ort gebaut, fotografiert und dann wieder abgebaut. Es waren Momentaufnahmen, kleine Installationen, draußen in den Parks.

Hast du Kontakt gefunden zu Künstlerinnen und Künstlern dort?

Es war August und einige Galerien hatten Sommerpause, einige Museen hatten aufgrund von Covid-19 ebenfalls geschlossen. Darum habe ich mich dann eher auf meine eigene Arbeit konzentriert.

Was einen Artist in Residence-Aufenthalt ausmacht ist ja, dass man dort einfach alleine ist und im Endeffekt auf sich selbst angewiesen. Ich habe versucht das positiv zu sehen, meine eigene Stärke und einen Rhythmus zu finden, und versucht mich immer wieder von Neuem zu motivieren.

Ich frage mich sowieso oft: Sind meine Arbeiten gut? Wird das was? Was mach ich da eigentlich? Panik, Panik, aber dann setze ich mich hin und arbeite und finde meinen Weg.

Wo zieht es Dich als nächstes hin?

Gerade bin ich wieder so am Ankommen. Ich koordiniere gerade einen Kulturrundgang in meinem Heimatort Falkenstein. Da bespiele ich mit Künstlern aus Regensburg und Umgebung Leerstände in alten Gebäuden, die abgerissen werden. Die Räumlichkeiten sind für Besucher unzugänglich und die Kunst nur durch Schaufenster sichtbar. Die Idee Kunst hinter Glas zu präsentieren ist im Lockdown entstanden. Es geht dabei um Arbeiten, die dem Alten huldigen und den teilweise sehr heruntergekommenen Leerständen sozusagen noch einmal die letzte Ehre erweisen. Ein schöner Kontrast zur zeitgenössischen Kunst. Das Projekt startet am 27. September, danach geht es gleich weiter mit Ausstellungen in Regensburg und Landshut.

Danke für dieses Gespräch, Barbara.

Das Gespräch führte Julia Weigl-Wagner für den donumenta e.V. am 09. September 2020.

Geister oder: Ein Malerhimmel für Peter Engel

Seit Monaten arbeitet der Regensburger Illustrator und Bühnenbildner Peter Engel am Österreicher Weg in Regensburg. Entrückt zwischen 60er-Jahre-Pragmatismus und der wildromantischen Szenerie der Winzerer Höhen liegt dieser Ort zwischen Himmel und Erde. Am Sonntag, den 11. Oktober 2020 zwischen 13 und 18 Uhr öffnet Engel dort das Artelier gewordene Haus. – Dieser Bericht handelt von einem Besuch im Juni 2020.

Peter Engel öffnet die Tür. Es klingt wie eine Begrüßung, eine Eröffnung, ein erster Satz: „Erst hier habe ich mit dem Malen begonnen“, sagt er. Ich selbst begegnete diesem Haus einst bei Festen, Kaffeerunden und einem Besuch nach dem Tod seiner letzten Bewohnerin vor ein paar Jahren. Unter diesem Dach versammelten sich mit den hier lebenden Menschen umständliche, schöne und nützliche Dinge, Triviales, Literatur, Musik, Möbel, Vorhänge aus honigfarbener Seide oder mit pastelligem Wildblumendruck. Drei Kinder aus diesem Haus wurden Buchhändler, eines leitet heute ein Museum. Engels Bilder passen hier her wie die Glyzinie an der Fassade, die den Blick aus einem Fenster im ersten Stock zum Kunstwerk rahmt.

Seit Frühjahr 2020 arbeitete Peter Engl in einem 60er-Jahre-Haus am Österreicher Weg hoch über den Dächern Regensburgs. (Foto Julia Weigl-Wagner)

Der Geist seiner Bewohner weht noch die Treppen hinauf und hinunter. Jetzt mischen Peter Engels Gemälde diese Atmosphäre auf. Zwischen Luft und Liebe hängen sie ihrer eigenen Vorstellungskraft nach. Die Betonung liegt auf Kraft, denn wer sie einmal gesehen hat, erinnert sich wieder und wieder an sie. – Im Flur lässt zwischen zwei Türstöcken eine riesenhafte vielfingerige Figur die Muskeln spielen, um bösen Geistern das Handwerk zu legen. Im Schatten des gemalten Ungetüms erinnern aus der Wand ragende und mit Papierstreifen umwickelte Drähte an ein Mäusegerippe. Mit Farbe und Pinsel bemalt Engel Leinwand für Leinwand mit Leben.

Petersburgisch gehängt zwischen Türstöcken, Lichtschaltern, Fensterrahmen, Lampenschirmen, Fliesen und Erinnerung ergänzt seine Malerei das ausgeräumte Haus wie ein object trouvé zu einer großen Installation. Wer das Haus betritt, wird Teil davon, fügt sich ein in den Nachhall von Plappern, Winseln, Alltag und Glück. „Noch als ich davor stand, war ein Geräusch wie Harren oder Achten …“, steht auf der schwungvoll mit roter Farbe grundierten Leinwand neben der Haustür. Dahinter zeigt die nackte Wand neben den Glasbausteinen im Treppenhaus Reste von Kleister, Tapete und Zeit.

Im Wohnzimmer behauptet die sechsbeinige schwarze Qualle neben einem altrosa gepolsterten Sessel mit geflochtenen Lehnen ein Wildschwein zu sein. Engels große Passion, mit Worten den Sinn derselben zu verdrehen und dem Absurden möglichst viel Platz zu geben, hat hier freies Spiel. Der Maler weiß um den großen Mangel in einer Welt der Kopffüßler, die vor lauter Hypothese und Theorie keinen Witz mehr verstehen. So ist es ein Wunder, dass sich das Fantastisch-Groteske hier am Stadtrand so unanständig entfalten kann. Nicht mehr lange, heißt es, dann wird das Absurde domestiziert dem Samstagabend-Kunstpublikum präsentiert in einer Galerie an einheitlich gestrichenen Wänden. Peter Engel wird dann schreiben: „Jetzt verlassen die Bilder Österreichs Höhen und wandern nach Südtirol, genauer zum Brixener Hof …“

Neben dem qualligen Wildschwein zeigt sich die Bäckerei Rembrandt schwarz wie das Innere eines Holzbackofens. Nur am Fischgrät-Parkett scheint das züngelnde Feuer kaum geleckt zu haben. Von der schwarzen Ölfarbe verlaufen sich nur ein paar Tränen in den Parkettboden hinein. Ziegen, ein roter Mond und eine schwarze Kaulquappe auf rotem Grund stehen in der guten Stube für Schwarzbrot, Semmeln und Brezen Schlange vor der verschlossenen Tür: „Bäckerei Rembrandt: Closed“. Wartend genießen sie den Blick aufeinander und hinaus in die grüne Hölle vor der Terrassentür.

Im Esszimmer, wo einst das Klavier stand, macht ein weißer Leinwand-Elefant Yoga. Eine Leuchte mit Stoff bezogenem Schirm erhellt den imaginären Esstisch, dahinter sein Gegenentwurf – ein wackeliger Turm aus Tischen. Kann sein, dass man mit dem Essen nicht spielt, mit Tischen schon, mit Asphaltgrau, Rosa und dem welligen Dazwischen auch.

Wie herrlich angeregt sich der Lampenschirm aus Holzplättchen und der kugelrunde Pflaumenbaum über seine riesigen Früchte unterhalten. Nur manchmal quatschen Hose und Tor vor rotem Grund dazwischen. Was anziehen? Wohin ausgehen? Im Badezimmer daneben steigt das große „Spieglein-Spieglein-an-der-Wand“. Beim Verkleiden spielen Krebs und Fisch aus Ton geformt mit der verwischt gemalten Langzeitbelichtung eines Verfassungsrichters „Wer-ist-der-Schönste-im-ganzen-Land?“ – Leonardos Mona Lisa steht derweil angekleidet unter der Dusche.

Sauber, in Schale geworfen und mit Hut geht Herr Meier hinaus, grüßt ein Krokodil und geht hinaus in die vor Scham errötete „Welt mit Essigbaum“. Was könnte man hier noch tun? Im Dickicht der Stadt rät Peter Engel: „Du findest den Automaten leicht. Er hängt am ersten Haus rechts. Man kann das sofort benutzen. Auch wenn Umstehende anderes behaupten.“

Kunst schaut hin – Interview mit Christian Schnurer

Der Münchner Künstler Christian Schnurer (geb. 1971 in Schwandorf) ist bekannt für seine Arbeiten im öffentlichen Raum. Seine Installationen und Interventionen sind gesellschaftpolitisch motiviert. Um Krieg, Flucht, menschenverachtende oder die Freiheit missachtende Politik zu kommentieren. Diese Interview führte ich anlässlich seiner Video-Installation und Skulpturen aus Hunderten von Rettungswesten im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof in Regensburg und im Bahnhofsumfeld. „Salva Vida – HOTSPOT“ läuft vom 18. September bis zum 18. Oktober, mittwochs bis sonntags 14 bis 19 Uhr.

Welches Ereignis war für Sie als Künstler ausschlaggebend, sich mit dem Thema Migration und Seenotrettung zu beschäftigen?

2004 gab es eine Seenotrettung, die mich sehr beschäftigt hat. Das war als die Cap Anamur II 37 Geflüchtete rettete und der Kapitän in die Fänge der italienischen Staatsanwaltschaft geriet, weil er ohne Erlaubnis in einen sizilianischen Hafen einfuhr. Seitdem ist das Thema in meinem Fokus und ich habe grundsätzlich über die Außengrenzen Europas nachgedacht. 2010 war die erste große internationale Arbeit dazu entstanden. Mit dem Amphibienfahrzeug „Mathilda“ fuhr ich 2010 anlässlich der Kulturhauptstadt Istanbul von München an den Bosporus.

Es hat tatsächlich lange gedauert, eine künstlerische Antwort auf das Thema Grenzen Europas und Seenotrettung zu finden, weil es so schwierig ist, damit umzugehen, so unmöglich, so tragisch. Es ist nichts, was zu Ende geht, es ist immer bitter und man kann keinen Humor hineinlagen. Das ist bis heute schwierig.

Der Münchner Künstler Christian Schnurer: Die Schwimmweste ist zur Ikone für die Rettung von Geflüchteten geworden.
(Foto: Bodo Mertoglu)

Mit Ihrem Projekt „Salva Vida“ kooperieren Sie mit der Gemeinde Lesbos. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?

Die Kooperation besteht aus der Überlassung von 4.000 Schwimmwesten. Anfang 2016 wollten wir Schwimmwesten für Installationen im öffentlichen Raum, um die Willkommenskultur aufrecht zu erhalten in einer Situation, die schon am Kippen war.

Der Kontakt kam zustande, als wir Hilfsgüter nach Lesbos transportiert haben, hauptsächlich Kleidung. In dem Moment war die Situation relativ durchlässig, ein hoffnungsvoller Moment.

Auf Lesbos lagerten damals auf einer auf Müllhalde ungefähr eine Million Schwimmwesten, jede einmal gebraucht. Dieses Bild ging mir nicht aus dem Kopf. Ich wollte mit diesen Schwimmwesten arbeiten, fragte, ob ich 4.000 dieser Westen haben könnte und kam schließlich mit einem Empfehlungsschreiben der Stadt München.

Für die Gemeinde Lesbos war das auf der anderen Seite eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit in Zentraleuropa auf diese Situation aufmerksam zu erhalten. So kam dieser Vertrag zustande. Warum er überhaupt geschlossen werden musste? – Die Schwimmweste war zum Archetypen, zur Ikone für die Rettung von Geflüchteten geworden. Schwimmwesten waren begehrt. Damals waren sehr viele dran um damit zu arbeiten; Künstler, Theater, Upcycling Projekte, Hilfsorganisationen, etc..

Was kann Kunst in diesem Zusammenhang bewegen?

Kunst hat schon immer versucht, ihre Stimme  gegen Krieg und Ungerechtigkeit zu erheben. Der Versuch die Welt zu retten ist meistens gescheitert. Als Künstler konnten wir keinen einzigen Krieg und kein Leid verhindern. Auf der anderen Seite ist die Kunst ein Weg, die Öffentlichkeit zu zwingen, die Augen dorthin zu richten. – Den Fernseher kann man ausschalten, aber einer Aktion im Öffentlichen Raum kann man sich niemand entziehen. Das  löst Emotionen aus, positive wie negative, gute Diskussionen oder tätliche Angriffe gegen die Kunst – auch das muss man aushalten.

Wie sehen Sie die Situation im Hotspot Camp Moria auf Lesbos heute im Vergleich zu damals vor fünf Jahren?

Wir haben das Thema nicht mehr so wie damals täglich in den Nachrichten. Auf der anderen Seite haben wir in Moria auf Lesbos heute einen Hotspot, der auf 3.000 Menschen ausgelegt ist und in dem 20.000 Flüchtlinge leben. Die Zustände sind schlimmer als etwa in Jordanien, in der Türkei oder der Ukraine. Unsere Politik hat 2015 als Deutschland und Österreich die Grenzen öffneten ein freundliches Gesicht gezeigt. Heute zeigen wir eine hässliche Fratze. – Deutschland das Traumziel und Europa die Hoffnung für viele.

Wir leben eine bigotte Leitkultur, weil wir uns auf humanistische Werte berufen, die wir gleichzeitig missachten. 

Die Installation „Salva Vida – HOTSPOT“ im Donumenta ART LAB Gleis 1 wird sich sehr stark medial zeigen: Fotomaterial. Rauminstallationen aus Schwimmwesten, Filmaufnahmen. Wird der Raum wirken?

Zum ersten Jahrestag der 1. Jahrestag der Grenzöffnung zu Ungarn war die Aktion „Sommergrüße vom Wolfgangsee“ ein Anschlag auf dieses deutsch-östereichische Wirtschaftswunderidyll mit der schwimmenden Insel aus 800 Schwimmwesten vor dem „Weissen Rössl“. Wir zeigen diese Aktion als Videoprojektion in einer morbiden Raumsituation unter den Bahngleisen jetzt zum 5. Jahrestag dieser historischen Entscheidung.

Wie hat sich die Wahrnehmung Ihres Projekts verändert?

Jetzt ist ein guter Moment, um das ganze Projekt etwas neutraler und mit Abstand zu sehen und die einzelne Stationen in ihrem Verlauf aufzublättern und neu zu bewerten.

Meine Installation „Platz der Leitkultur“ von 2017 wird neu inszeniert im Umfeld des Regensburger Bahnhofs. Andere Aktionen werden als Fotodokumente gezeigt oder in Dokumentationsvideos des Filmemachers Lorenz Kloska. Ich bin gespannt, ob die Empfindlichkeit des Publikums immer noch da ist, oder ob die Gewöhnung alle weiteren Reaktionen abgestumpft hat.

Danke für das Interview Christian Schnurer.

Foto: „Platz der Leitkultur“, Installation aus Rettungswesten. (Julia Weigl-Wagner).

Wörter im öffentlichen Raum – Interview mit Dušan Zahoranský

Dušan Zahoranský (geb. 1972) war 2019 vier Wochen lang Artist in Residence der donumenta. Er studierte in Bratislava und Nottingham, lebt und arbeitet in Prag, lehrt an der dortigen Kunstakademie und gehört zu den bedeutendsten Künstlern Tschechiens. Zahoranský ist ein Meister der Typografie im öffentlichen Raum. „Wörter in einer öffentlichen demokratischen Umgebung fördern die Diskussion“, sagt er. Ab 3. September werden die Eiserne Brücke in Regensburg in MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE und der Lände nördlich des Museums der Bayerischen Geschichte (Marc-Aurel-Ufer) in ALAN & GHALIB KURDI HAFEN umbenannt. Die symbolische Umbenennung erfolgt zeitlich befristet bis Anfang Dezember. Dušan Zahoranský nennt sein Werk SEARCH AND RESCUE.

Was war Dein erster Eindruck von Regensburg?

Die Eiserne Brücke in Regensburg wird MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE (Fotomontage Dušan Zahoranský)

Regensburg ist sowohl eine historisch sehr bedeutende als auch moderne und wachsende Stadt. Außer der Rolle Regensburgs für die Tschechische Chrisitianisierung im 9. Jahrhundert oder seine wirtschaftliche und politische Bedeutung im 12. Jahrhundert war ich von den neuen Wohnsiedlungen beeindruckt. Ich hatte das Gefühl, dass der Stadtplanung in der Stadtverwaltung kein geringer Stellenwert beigemessen wird. Die Stadt gründet auf einem tiefen kulturellen und historischem Fundament. Neue Straßen und Gebäude, zum Beispiel östlich des Hauptbahnhofs, zeigen gute menschliche Proportionen. Es scheint mir eine gute Architektur für zukünftige Bewohner zu sein. Auf der anderen Seite war ich überrascht vom Fehlen öffentlicher Kunst in der Stadt. Außer historischen Denkmälern, die Regensburger Bischöfen gewidmet sind, gibt es wenige sensibel platzierte, ehrliche Kunstwerke (Westheim) und fast keinen „symbolischen“ Schwerpunkt.

Dušan Zahoranský lehrt an der Kunstakademie in Prag.

Aus meiner Perspektive ist nur Dani Karavans Bodenrelief der frühreren Synagoge gut durchdacht und präzise umgesetzt. Das Denkmal fungiert sowohl als aktuelles Symbol als auch als spontaner Treffpunkt.

Wie kamst Du auf die Verbindung Regensburgs mit der Seenotrettungsinitiative Michael Buschheuers?

Wir diskutierten mit Regina Hellwig Schmid and Hans Simon-Pelanda über unsere Pläne. Ich fand es interessant, einen Kontrapunkt zur starken Konzentration auf „historische“ Figuren und Themen zu setzen. Ich hatte das Gefühl, dass es in der Öffentlichkeit an Geschichten und Persönlichkeiten mangelt, die die heutige Lebenswelt und das heutige Denken prägen. Wir sprachen über Carola Rackete und eine ähnlich mutige Frau. Sie setzen ihr Leben und ihre Energie für die Menschlichkeit ein und retten Leben unter sehr problematischen Bedingungen.

Regina und Hans erzählten mir, dass Michael Buschheuer die Seenotrettungs-Initiative Sea-Eye gründete und dass Carola möglicherweise auch vor Jahren in Regensburg aktiv war. Später fand ich Informationen in lokalen Zeitungen und im Internet. Ich habe mich intensiver mit der Problematik beschäftigt und mehr über Einwanderung und den Zusammenhang mit den Konflikten in Afrika und im Nahen Osten herausgefunden. Die Staaten in Europa und andere Supermächte haben eigene Interessen in diesen Krisenregionen.

Die Initiative von Michael Buschheuer zeigt, dass er und seine Aktivisten sich dieser geopolitischen Widersprüche zwar bewusst sind, es aber am Ende am wichtigsten ist, jedes einzelne menschliche Leben zu schützen und zu respektieren.

Wie steht das Thema Seenotrettung im Zusammenhang mit der Geschichte der UNESCO Weltkulturerbestadt und dem Motto des donumenta Artist in Residence-Programms “Heritage Today/Tomorrow”?

Die Initiative der donumenta ist für mich ein Medium, interessante, mitunter problematische Themen an die Öffentlichkeit zu bringen. Was sie im öffentlichen Raum umsetzt, ist sehr lobenswert. Ich bin sicher, dass die Strategie, die der donumenta e.V. bereits in den vergangenen Jahren verfolgte, sowohl Bürgerinnen und Bürgern, Touristen als auch Künstlerinnen und Künstlern selbst Perspektiven bieten kann.

Es war interessant, sich in den historischen Kontext der Stadt hineinzufinden, vom Mittelalter über das Zeitalter des Protestantismus bis hin zum Zweiten Weltkrieg und das 20. Jahrhundert. Ich hoffe, dass meine öffentliche Kunstintervention – wenn auch zeitlich befristet – einen neuen Akzent in die Stadt bringt. Für einige Zeit wird meine Arbeit die Aufmerksamkeit auf ein Phänomen ziehen, das eng mit der Stadt verbunden ist und sich für das menschliche Wohlergehen engagiert.

Du hast einmal gesagt: „Wörter in einer öffentlichen, demokratischen Umgebung regen zur Diskussion an “. Wie funktioniert das im Zusammenhang mit der MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE und dem ALAN & GHALIB KURDI HAFEN?

Hier möchte ich Bernard Darras zitieren, mit seiner präzisen Definition von Demokratisierung:

Historisch, ideologisch und politisch hat sich das Konzept der Demokratie gegen alle anderen Formen von Autorität und Regierung entwickelt, bei denen Menschen einer bestimmenden Rolle beraubt werden. Beispiele hierfür sind Theokratien, Aristokratien und Diktaturen. Daher erfordert jeder als Demokratisierung bezeichnete Prozess, dass die gesamte Bevölkerung in die Bewältigung des Phänomens ‚Demokratisierung’ involviert, befragt und einbezogen wird.“  
(Bernard Darras:  Values of Arts and Cultural Education, in: van Heusden, Barend / Gielen, Pascal (Hg.): Arts Education Beyond Art / Teaching Art in Times of Change, Valiz 2015, Seite 60)

Ich hoffe, dass unsere vorübergehende Aneignung der Namen der Eiserne Brücke und des Marc-Aurel-Ufers die Aufmerksamkeit der Passanten auf noch ungelöste Probleme lenken wird, aber mit der Betonung auf die Entwicklung ihrer persönlichen Stärke. – Diese Haltung habe ich zufällig in der Michael-Buschheuer-Initiative in Regensburg in einer sehr konkreten Form gefunden. Ich respektiere sie sehr. Vielen Dank für Unterstützung und Vertrauen.

Das Interview mit Dušan Zahoranský führte ich für den donumenta e.V. ursprünglich auf englisch.

19.08.2020/JW2

Namen sollen Menschen bewegen – Interview mit Tima Kurdi

Ab 3. September 2020 wird es in Regensburg für drei Monate einen ALAN & GHALIB KURDI HAFEN und eine MICHAEL BUSCHHEUER BRÜCKE geben. Die Namen stehen für menschliche Not und Hilfe. Sie sind Teil der Arbeit “SEARCH & RESCUE” des tschechischen Künstlers Dušan Zahoranský, Artist in Residence des donumenta e.V. 2019 – Tima Kurdi, die Tante von Alan und Ghalib Kurdi, wird anlässlich der Enthüllung am 3. September sprechen.  Alan Kurdi ist der tote Jungen am Strand, dessen Bild Anfang September 2015 um die Welt ging. Der Zweijährige wurde zur Ikone für das humanitäre Not von Flüchtlingen. Auch Alans Bruder Ghalib und Mutter Rehanna überlebten die Flucht zum Vater, der bereits in die Türkei geflohen war, nicht. Für Tima Kurdi, die heute in Kanada lebt, war das Schicksal ihrer eigenen Familie der Auslöser, sich für die Rechte von Flüchtlingen zu engagieren.

Tima Kurdi, Sie sind in Damaskus geboren und leben seit fast 30 Jahren in Kanada. Nachdem der Krieg in Syrien 2011 ausbrach, wollten Sie Ihre dort lebenden Familienmitglieder nach Kanada holen. Was haben Sie unternommen?

Als in Syrien der Krieg ausbrach, floh meine Familie wie Tausende andere in die Türkei. Die Familie meines Bruders Abdullah war aus Kobani geflohen, um zu ihm nach Istanbul zu gelangen. Es waren herzzerreißende Zustände. Und als ich sie 2014 besuchte, sah ich mit meinen eigenen Augen wie ihre Situation war, wie sie darum kämpften in diesem neuen Land zu leben, besonders die Kinder. Ich sah, dass meine Nichte und meine Neffen gezwungen wurden zu arbeiten, statt zur Schule zu gehen.

Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien flehten meine Leute um Hilfe, doch niemand reagierte. Ich tat, was ich konnte, um meine Familie zu unterstützen, schickte Geld und versuchte sie nach Canada zu holen, aber Canadas Grenzen blieben geschlossen, unser System versagte.

Als Ihre beiden Neffen Alan und Ghalib auf der Flucht aus Syrien nach Europa starben, waren sie zwei und vier Jahre alt. Was veranlasste Sie trotz des Schmerzes, den Sie erfahren haben, sich jetzt erst recht und über die eigene Familie hinaus für die Rechte von Flüchtlingen zu engagieren?

Viele Monate lang hatte ich um ihre Einreise gekämpft und erledigte die Formalitäten, bis ich an jenem 2. September 2015 die tragische Nachricht hörte, dass meine Schwägerin Rehanna und meine beiden Neffen Alan und Ghalib Kurdi ertrunken waren. Ich werde diesen 2. September nie vergessen. Ich wachte auf, hörte diese Nachricht und sah das Bild meines Neffen Alan am Strand. Ich schrie so laut ich konnte. Ich wollte, dass die Welt mich hörte. Dann traf ich diese Entscheidung. Ich sagte mir: Wenn ich meine eigene Familie nicht retten kann, dann will ich andere retten.

Ihre Reden sind sehr persönliche Statements. Sie erreichen dadurch viele Menschen. Was erwarten Sie sich von der europäischen und deutschen Flüchtlingspolitik?

Ich hoffe, dass die europäischen Länder und Deutschland Flüchtlinge weiterhin willkommen heißen und ihnen ihre Grenze öffnen, denn sie fliehen, weil sie dazu gezwungen werden und ihnen keine andere Wahl bleibt. Ferner hoffe ich, dass die internationale Gemeinschaft zusammenkommt, um eine friedliche Lösung zu finden, Krieg und Armut überall zu beenden. Dann wird es keine Flüchtlinge mehr geben. Bis dahin müssen wir den leidenden Menschen helfen, ihr Leben – wie alle anderen – in Frieden leben zu können.

Der donumenta e.V., ein Kunstverein in Regensburg gedenkt des Schicksals Ihrer Familie mit der temporären Umbenennung eines Uferabschnitts an der Donau in ALAN & GHALIB Kurdi Hafen. Wie wirkt das auf Sie?

Worte können mein Gefühl nicht beschreiben. Es berührt mich sehr und ist gleichzeitig schmerzhaft. Ich möchte, dass die Namen Alan und Ghalib Kurdi eine dauerhafte Erinnerung in Herz und Verstand der Menschen sind und ich hoffe, dass sie niemals das Bild des Jungen am Strand vergessen. Ich hoffe, dass die Namen Menschen dazu bewegen können, aufzustehen und ihre Stimme zu erheben, um anderen in Not zu helfen.

Danke für das Interview, Tima Kurdi.

Das Interview führte Julia Weigl-Wagner am 24. August 2020 für den donumenta e.V. in englisch

Wenn Zoom beim Entwerfen hilft – Interview mit Theresa Bösl vom Corona Design Lab

Was Studierende im Corona Design Lab entwickelt haben, ist vom 21. August bis zum 6. September 2020 im donumenta ART LAB Gleis 1 am Hauptbahnhof in Regensburg zu sehen. Im Interview erzählt mir Theresa Bösl wie es dazu kam und was sie am meisten fasziniert. Sie studiert im 4. Semester Architektur.

Theresa Bösl ist eine der Studierenden aus dem Seminar „Corona Art Lab“ der OTH Regensburg (Zeichnung: Theresa Bösl)

Theresa, Ihr habt das Corona Design Lab an der OTH relativ früh eingerichtet und das Thema als eines erkannt, das für Euch relevant ist. Was war da entscheidend?

Theresa Bösl: Wir haben uns per Zoom getroffen und das war schon mal eine Ausnahmesituation. Wir haben darüber diskutiert, wie es jedem geht gerade vor dem Hintergrund der Pandemie. Viele waren zuhause bei ihren Familien, schon allein deshalb, weil sie dort mehr Platz hatten als in der Studentenwohnung. Da kamen wir dann ganz schnell auf das Thema Raum. Wir erkannten es als ziemlich bedeutsam für uns, weil wir ja als angehende Architekten Räume entwerfen, ziemlich tief drin stecken in der ganzen Thematik und auch etwas machen können. Dann haben wir angefangen, Lösungen zu finden.  

Was ist Dein Lieblingsentwurf, wenn Du Dir jetzt Eure Lösungen vergegenwärtigst?

Theresa Bösl: Das Coronoskop. Interessant finde ich, wie es entstanden ist. Die Idee kam quasi bei einer Zoom-Diskussion. Man sieht von jedem dieses kleine Video. Da hatte eine Kommilitonin die Idee, Spiegel so zusammenzusetzen, dass man aus einem Blickwinkel immer mehrere Personen sieht. Die Idee mit den Spiegeln hängt eng mit der Anmutung der Zoom-Videos zusammen. Auch wie wir es umgesetzt haben, finde ich mega-spannend. Jetzt sieht das so lässig aus, aber wieviel Physik da drin steckt und wieviel Poesie …

Das Corona Art Lab war zwar ein Seminar, aber doch eine ganz besondere Erfahrung in Eurem Studium. Wird es Euch als Gruppe weitergeben?

Theresa Bösl: Wir haben verschiedene Ausstellungen geplant, weil wir unsere Gedankengänge auch weiterbringen wollen. Auch in den Sozialen Medien finden wir Zuspruch. Das schweißt uns tatsächlich zusammen und wir stehen immer wieder im Austausch miteinander. Wir haben eine kleine WhatsApp Gruppe und wenn wir irgendwas sehen, was irgendwo auf der Welt angeboten wird, diskutieren wieder drüber.

Gibt es an anderen Architektur-Hochschulen ähnliche Projekte?

Theresa Bösl: Das ist eine gute Frage. Als wir im April gestartet sind, sollten wir Lösungen finden, die es schon gibt. Außer zwei drei Lösungen haben wir nichts gefunden. Dann haben wir entworfen und unsere Designs auf Instagram präsentiert. Dann hieß es, dass das ziemlich gut ist. Natürlich haben wir auch Lösungen, die es schon gab – wie zum Beispiel den Tür-Haken – transformiert. Unsere Dozenten sagen immer: Auch in der Architektur gibt es nicht Neues. Es gibt schon alles. Wir müssen es nur verbessern oder neu zusammensetzen.

Danke Theresa, für diesen interessanten Einblick in Eure Arbeit.

Foro: Kommunikation auf Abstand – das Coronophone (Corona Design Lab, OTH Regensburg)

Material, Raum und Geschichte – Interview mit Luiza Margan

Warum sie sich für ein Bauwerk des Brutalismus interessiert, hat mir Luiza Margan, Künstlerin aus Kroatien, in einem Interview erklärt. Sie hat sich mit dem Wirsing-Turm am Regensburger Ernst-Reuter-Platz beschäftigt, der vor wenigen Monaten abgerissen wurde und den öffentlichen Raum zwischen Bahnhof und Altstadt definierte. – Die Ausstellung „Geliebtes Monster / Beloved Monster“ ist vom 10. Juli bis zum 16. August jeweils mittwochs bis sonntags von 14 bis 19 Uhr im donumenta ART LAB Gleis 1 am Regensburger Hauptbahnhof zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Wie kommt es, dass Du Dich mit dem Wirsing-Turm beschäftigst?

L.M.: Als ich zum ersten Mal in Regensburg war und mich mit dem donumenta ART LAB Gleis 1 vertraut machte, überraschte mich dieses Gebäude sehr – seine markante Gestalt und Gegenwart. Auch von der Höhe her unterschied es sich von den historischen Gebäuden im Zentrum der Stadt, obwohl man deutlich sehen konnte, dass es selbst eine kraftvolle Geschichte hat.

Hans Simon-Pelanda von der donumenta erzählte mir diese Geschichte und davon, wie der Plan, es abzureißen zahlreiche Bürger*innen mobilisierte, sich für den Erhalt dieses architektonisch herausragenden Bauwerks zu engagieren und es einer neuen Nutzung zuzuführen.

Woher kommt Dein Interesse für Architektur?

L.M.: In meiner Arbeit untersuche ich die Beziehung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum. Ich frage mich wie der öffentliche Raum und kulturelle Identitäten durch historische Narrative und ideologische Überhöhungen entstehen.

Architektur und Stadtplanung, Denkmäler und Straßennamen sowie Bürgerinitiativen für den Erhalt von öffentlichen Räumen spielen hier eine bedeutende Rolle.

Als Gesellschaft entscheiden wir darüber, was stehen bleibt und was zerstört wird. Es stellt sich die Frage, welche Werte damit verbunden sind. Die Entscheidung, diesen Turm abzureißen, begleiten Konflikte. Für mich ist diese Spannung interessant: Stehen lassen oder abreißen? Diese Spannung gestaltet den öffentlichen Raum und um diese Spannung geht es in meiner Arbeit. Ich persönlich bevorzuge eher eine „grünere“ Haltung und den Erhalt wertvoller Architektur der Vergangenheit in neuer zeitgemäßer Nutzung. Dadurch entsteht eine reiche und lebendige Stadtlandschaft.

Hat das etwas mit Deiner Biografie zu tun?

L.M.: Ich wuchs auf im Prozess der Auflösung Jugoslawiens und der sich im Anschluss formierenden nationalen Identitäten. Diese Verwandlung ist ein stetiger Prozess, der im öffentlichen Raum gut beobachtet werden kann. Sogar Beispiele weltweit anerkannter Architektur und Monumente der jugoslawischen Epoche werden nicht wahrgenommen oder zerstört, Denkmäler des antifaschistischen Kampfes und Straßennamen ausradiert. Der Kapitalismus eignet sich den öffentlichen Raum an und viele Bürger- und Kulturinitiativen stellen sich dagegen.

Du setzt „Geliebtes Monster“ mit Metall- und Beton-Teilen um? Wie arbeitest Du mit diesen schwer zu bewegenden Materialien?

L.M.: Es ist mir wichtig, dass ich diese Materialien selbst bewegen kann. Alle Betonteile in der Ausstellung sind zwar schwer, aber ich kann sie noch selbst bewegen. Bei den größeren Bauteilen arbeite ich mit Helfern. Meine Idee ist es, die Materialien auf eine Art zu arrangieren, die ihre Geschichte zeigt und gleichzeitig eine neue Räumlichkeit entstehen lässt.


Danke für das Gespräch, Luiza.

Foto: donumenta / Regina Hellwig-Schmid.