Den relevantesten politischen Widerstandskreis Ostbayerns während der Naziherrschaft würdigt eine neue Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung– „Der Literaturschmuggel – Sozialdemokratischer Widerstand in Ostbayern“.
In den Interviews des Autors Thomas Muggenthaler werden fünf Sozialdemokrat_innen lebendig. Sie stehen beispielhaft für viele, die mit der Verbreitung sozialdemokratischer Schriften Widerstand gegen die Gleichschaltung leisteten. Die Widerständler_innen stammten aus Familien, in denen die Sozialdemokratie eine große Rolle spielte. Für ihre Überzeugung und ihren Mut bezahlten sie mit Zuchthausstrafen, Moorlager und KZ. Ihre politische Haltung bestimmte ihren Alltag.
Familienbande der Arbeiterkinder
„Wir sind mit dem Bewusstsein aufgewachsen, Arbeiterkinder zu sein“, erklärt der Eisenbahnersohn, spätere Regensburger Bürgermeister Hans Weber und Bundesvorstand der 1979 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft ehemals Verfolgter Sozialdemokrat_innen“. 1933 sollte er hauptamtlicher Jugendsekretär der SPD werden. Dann durchkreuzten die Nazis mit Machtergreifung, Gleichschaltung und SPD-Verbot diesen Plan.
„Das ist halt von der Familie her so in mir gewesen, dass ich für die SPD war und dann hat man da mitgemacht,“ formulierte Martha, Hans Webers damalige Freundin und spätere Ehefrau. „Weil der Hitler Krieg wollte und weil man anständige Leute wie Verbrecher behandelt“, so beschrieb Helene Joringer aus Straubing ihre Motivation, Widerstand zu leisten. Sie war die Tochter des ehemaligen SPD-Landtagsabgeordneten Josef Laumer. Auch Josef und Franz Mörtl, die Söhne des Porzellandrehers und Weidener SPD-Stadtrats Franz Mörtl sen., wurden bereits früh in das politische Leben ihres Vaters eingebunden.
Getarnte Titel
In den Interviews mit Thomas Muggenthaler beschreiben die fünf Personen stellvertretend für viele andere, wie sie auf Fahrrädern, zu Fuß oder als Mitfahrer_innen in Lieferwägen die verbotenen Schriften schmuggelten. Unter Lebensgefahr schafften sie die sozialdemokratischen Zeitschriften, darunter „Neuer Vorwärts“ und „Sozialistische Aktion“ im Kleindruck von Prag in die Oberpfalz und nach Niederbayern. Die Schriften wurden im Prager Exil der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) gedruckt und unter Tarntiteln über die grüne Grenze zwischen Prag und Ostbayern vertrieben. Das Prager Manifest beispielsweise trug den Titel „Die Kunst des Selbstrasierens“.
Die Zeitzeugen beschreiben auch, wie ihr Widerstandsring gesprengt und sie zu Haftstrafen verurteilt und ins Moorlager (Hans Weber) oder nach Dachau ins KZ (Franz und Josef Mörtl) verschleppt wurden. „Ich war ein Moorsoldat“, sagte der 2003 verstorbene Hans Weber über sich und dass die Nazis seine Überzeugung nicht brechen konnten.
Politisches Gedenken
In der vorliegenden Publikation wird der Widerständler_innen Hans und Martha Weber aus Regensburg, Helene Joringer aus Straubing sowie Franz und Josef Mörtl aus Weiden gedacht. Die Portraits dieser fünf Personen und ihrer Familien tragen dazu bei, die Kultur der Erinnerung aufrecht zu erhalten und undemokratischen Strömungen entgegenzuwirken.
„Historisches Arbeiten und Erinnern versteht die Friedrich-Ebert-Stiftung nie als Selbstzweck, sondern als Voraussetzung für verantwortungsbewusstes Handeln. Demokratiefähigkeit, Erinnerungsbereitschaft, Schuld- und Verantwortungsbewusstsein gehören unmittelbar zusammen“, schreiben Simone Reperger und Eva Nagler im Vorwort der besprochenen Publikation.
Die Oberbürgermeisterin der Stadt Regensburg, Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) schreibt über die neue Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Die Lebensläufe zeigen, wie überaus mutig es ist, für seine demokratischen Ideale einzustehen und zu kämpfen. Diese Menschen sollten uns allen ein Vorbild sein. Denn auch heute, hier und jetzt müssen wir uns für eine starke Demokratie einsetzen und sie gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen schützen.“
Vergessene Held_innen
Besonders wirksam zeigt sich Erinnerung, wenn Betroffene ihr persönliches Schicksal schildern. In seinem Buch über den Literaturschmuggel lässt Autor Thomas Muggenthaler fünf „vergessenen Held_innen“, wie er sie selbst nennt, in ausführlichen Interviews selbst zu Wort kommen. Um die Geschichte von Widerstand und Verfolgung möglichst gut nachvollziehen zu können, sind die ebenso persönlichen wie informativen Gespräche angereichert mit historischen Recherchen, Archivmaterial und persönlichen Fotografien.
Autor Thomas Muggenthaler
Thomas Muggenthaler (*1956) ist Journalist und Autor. Seit seinem Politikstudium beschäftigt er sich mit der Zeit des Nationalsozialismus. Seine langjährigen und zahlreichen multimedialen Arbeiten sind wichtige Beiträge zur Aufarbeitung. Er wurde mit dem Kulturpreis der Stadt Regensburg, dem Bayerischen Fernsehpreis und zweimal mit dem Deutsch-Tschechischen Journalistenpreis ausgezeichnet. Für seinen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus erhielt er im Sommer 2024 das Bundesverdienstkreuz.
Download der Publikation unter https://nextcloud.fes.de/nc/s/ATrq4kPkS7zmEjQ

